Martinslauf 2009
10:13h. In zwei Minuten werde ich abgeholt. Angesichts der Temperaturen draußen noch schnell die Handschuhe angezogen, kurz über die Mütze nachgedacht, mich dagegen entschieden und dann das Haus verlassen.
10:15 Javier steht schon an der Bushaltestelle. Ich hüpfe ins Auto und wir machen uns auf den Weg nach Hassels. Wir haben Glück und finden 50m von der Startnummernausgabe entfernt einen Parkplatz. Man muss ja jedes Quäntchen Energie sparen.
Kurz die Nachmeldezettel ausgefüllt, für unsere noch beim Gottesdienst befindliche Kollegin Gabi noch eine Startnummer mitbesorgt und frohen Mutes Richtung Startlinie gestapft. Bereits auf dem Weg dahin schrumpft unser Zeitpolster, da wir irgendwie alle zehn Meter irgendwem über den Weg laufen, den wir kennen. So sind wir erst gegen 10 nach 11 am Start und haben gerade noch ein knappes Viertelstündchen, um uns warmzumachen.
Kurz vor halb elf schäle ich mich aus den langen Sachen und halte nach Gabi Ausschau. Und tatsächlich: Völlig aufgelöst taucht sie aus der Menge auf, das Navi hatte versagt. Schnell noch die Startnummer angetüddelt und Richtung Startlinie getrabt. Gabi bleibt weiter hinten stehen und ich gucke, das ich mich noch ein bisschen durchdrängeln kann.
So in Reihe zwanzig bleibe ich stehen und alle um mich rum versichern mir, wir wollten "so um die 50" laufen. Kurz zurechtgezupft, meinen mitstartenden Mädelz viel Glück gewünscht, da fällt vorne auch schon der Startschuss. Eine gute Minute vergeht, dann sind auch wir an den beiden Toren. Los geht's!
Bereits auf de ersten 200m stehen mir ohne Ende langsamere Läufer im Weg und ich ärgere mich mal wieder, nicht weit genug vorne gestanden zu haben. Immer das Gleiche: Warum fragen die Leute nicht mal, ,wo sie stehen? Was haben 60min-Läufer vorne am Start zu suchen? Ich drehe mich zwar nicht um, habe aber das Gefühl, meine Mädelz können mir nicht folgen. Schade, da hatte ich mich drauf gefreut und gehofft, das sie dran bleiben können.
So überhole ich auf matschigen Untergrund Läufer um Läufer, wohl wissend, dass ich eigentlich zu schnell bin und das Tempo später werde bezahlen müssen. Plan ist, 52min, wenn es schlecht läuft, 50 min, wenn alles nach Plan geht und 48, wenn ich gut drauf bin. Wir werden sehen.
Bei Kilometer zwei schließe ich zu Javier auf, bei Kilometer drei sagt ein Blick auf seine Uhr, das wir auf Kurs 48min unterwegs sind. Gut, wenn ich das Tempo nicht halten kann, hab ich wenigstens vier Minuten Reserve.
Meine Laufschuhe passen irgendwie im Augenblick nicht zu meinem Laufstil. Zuviel Sprengung und deshalb zwingen sie mich auf den Vorfuß. An sich ja nicht ganz verkehrt, fordert aber meine Waden bei der Geschwindigkeit ganz schön. Irgendwie brauche ich alternativ zu meinen Trainingssofas noch flache Racer. Ich sage mir mantra-artig, das meine Waden ok sind und dass es gleich wieder besser wird. Aber dann kann ich Javier nicht mehr halten und muss ihn ziehen lassen.
Ich kann zwar mit einem dynamischeren Laufstil ein bisschen Druck von den Waden nehmen, werde aber damit auch gleich schneller und habe dann wiederum Probleme mit der Luft. Aber hilft nix, denke ich mir und mit nicht jugendfreien Schimpfworten im Kopf geht's wieder vorwärts. "%$§$!!! Arme runter!! %§/&%!!! TIEF ATMEN!!! &$%§&$§!!! ARME RUNTER!!! §%§&%$!!! &$§§&&!!! Nach vorne lehnen!!! &%$%$§%§%&%$%$!!!!!", ist so ziemlich das einzige, was ich denken kann und will.
Im Gegensatz zu sonst, wenn ich ja er so der Genussathlet bin, will ich heute mal gucken, was geht. Während ich ja sonst so während des Rennens Outfit, Formen und Proportionen meiner Mitläuferinnen huldige und ja eher so der kommunikative Mitläufer bin, bin ich jetzt gerade noch in der Lage, den vereinzelt am Rande stehenden klatschenden Zuschauern "Thumbs up" zu zeigen.
Kilometer vier kommt und geht, die ersten fangen wieder an mich zu überholen. Ich sage mir, ,das mit meinen Waden ist nur vorübergehend und das wird gleich wieder besser. Ich muss nur versuchen, an den Jungs dranzubleiben. '$§&%, ist das hart.' 'Nimm doch einen Gang raus.' 'Nein, heute nicht.' 'Ach komm, dann hört's auch gleich auf weh zu tun.' 'NEIN; HEUTE NICHT!'
Kilometer fünf. Es wird wieder besser. Etwa 50m voraus läuft ein wohlgeformter Hintern. 'Komm jetzt, hin da. Guck dir das aus der Nähe an!'. Der attraktive Hintern kommt und geht. Mittlerweile würde ob des Geräusches, das meine Lungen mache, jeder Arzt in Panik verfallen. Aber noch fühlt es sich nicht so an, als müsste ich die Anstrengung mit einem Nachmittag Husten bezahlen.
Kilometer sechs, Kilometer sieben, langsam geht's wieder schneller. Läufer für Läufer arbeite ich mich weiter nach vorne, nur das "%$§$!!! Arme runter!! %§/&%!!! TIEF ATMEN!!! &$%§&$§!!! ARME RUNTER!!! §%§&%$!!! &$§§&&!!! Nach vorne lehnen!!! &%$%$§%§%&%$%$!!!!!" als konstante Begleitung im Kopf.
Kilometer acht, ich gebe noch ein bisschen mehr Gas und erhöhe die Atemfrequenz. Lange Gerade. Ich kann zu der Gruppe vor mir aufschließen. Den Läufern, die mich zwischenzeitlich überholt hatten. 'Jesus, wann nimmt das hier endlich ein Ende? ' Halt's Maul und renn!' Am Ende der Gerade habe ich sie.
Neun Kilometer. Ein paar Biegungen und ich bin an der Spitze der Gruppe. Dann nur noch 200m geradeaus, bevor es rechts die Brücke hoch Richtung Ziel geht. 60, 70m vor mir die nächste Gruppe. Soll ich mich zufrieden geben? 'Scheiß drauf, Björn, renn.' Ich ziehe noch mal an und renne jetzt richtig. Vor meiner jetzigen Gruppe hält keiner mehr gegen. Ich ringe nach Luft, frage mich, ob man sich auch während des Laufens erbrechen kann und mache die Lücke zu.
90 Grad Rechtskurve hoch auf die Brücke, die komplette Gruppe nach vor mir. 'Komm, Björn, kleiner Gang, Tempo!' So sammle ich den ersten Teil der Gruppe bis zum "Gipfel" ein. Dann bin ich oben nur noch 4, 5 Mann vor mir. 'YESYESYES, REEEEEENNNNN!!!!!' Langer Schritt und Gas. Wenn ich irgendwas kann, dann ist das bergab rennen.
Seh ich das richtig? 00:47:irgendwas? Nur noch die Uhr. 00:48:00. 01, 02, 03.... 'ZIIIEEHHHH!!!!!' Bei 98% Belastung fliege ich an meinem Support vorbei "Bjöööööörnnn!!!!" Dann bin ich durch! Bergab noch sechs Plätze gut gemacht. 'Yes!!!!'
Himmel, ist mir übel. Mein Kreislauf sackt in den Keller, puh... 'Komm, Björn, weiter, nicht stehen bleiben.' Ich taumle an Javier vorbei, der kurz vor mir ins Ziel gekommen ist und klatsche ihn ab. Super Ergebnis für uns.
Es stellt sich heraus, das er irgendwie dachte, ich wäre vor ihm und er versucht hat, mich einzuholen. Prima, so kommt man auch zur neuen PB. Ich freue mich für ihn. Auch Franco, unser Schnellster hat sein Ziel erreicht: 39 Minuten. Bis dahin dauert es für mich noch ein bisschen...
Ich greife an der Verpflegung nach zwei Bechern warmen Zitronen-Tee. Die Uhr tickt, dann kommen meine Mädelz, fünf bzw sieben Minuten nach mir. Und dann kommt auch Gabi, knapp unter einer Stunde bei ihren zweiten Wettkampf. Hach, ich bin so zufrieden, wir waren heute richtig gut.
Zurück zu unserer Support-Crew und wieder in die langen Sachen. Dann noch ein Viertelstündchen auslaufen und anschließend heiße Waffeln, eine massage und natürlich die obligatorischen Weckmänner. Die Ergebnisliste kommt: Netto 47:28min!
Fazit: Weniger anziehen, das lange Unterziehshirt war bei 6° zu warm, länger und sorgfältiger warm machen, neue Schuhe, weiter vorne hinstellen und den Lauf einen Hauch konservativer angehen. Trockene Strecke, gutes Wetter und das gerade Gesagte beherzigt, dann sind auch die 45 drin. Mal gucken.
Nicht schlecht, für einen, der nicht Laufen kann...