Sodele, nachdem ich gestern frühmorgens wieder daheim angekommen bin folgt nun der Bericht über das spassigste Großereignis drunten in Frankreich...
Eines vorweg: - Wenn ihr einen Marathon auf Zeit laufen wollte: Geht
NICHT nach Paulliac.
- Wenn ihr guten Laufuntergrund sucht: Geht
NICHT nach Paulliac.
- Wenn ihr eine gute, ausdauerspezifische Verpflegung unterwegs sucht: Geht
NICHT nach Paulliac.
Wenn euer Begehr aber vor allem Spass, Gaudi und eine Mordsfreude sind: Auf nach Südwestfrankreich!
Im Dezember 2008 ging’s los mit der Grundidee: Mein alter Herr, mittlerweile 54 Jahre alt, wollte irgendwann in seinem Leben noch einmal einen Marathon laufen. Dass die alte Zeit, 4:24h, nicht mehr zu unterbieten sei, war klar, dennoch hatten mein Bruder und ich die Idee, ihm zu Weihnachten eben diesen „letzten“ (Ausdauersportler haben ja üblicherweise eine ganz eigene Definition von „letztem Mal“
) Start zu schenken. Nachdem auch, völlig unbedarft und unvoreingenommen, einfach nur als spassiger Kostümlauf angepriesen, das Ziel, der Marathon du Medoc in der gleichnamigen Weinanbauprovinz um Paulliac (nördlich von Bordeaux) in’s Gespräch kam, war klar, wo es hingehen sollte- mein Vater hat ein Weinlädchen, die Rotweinverkostung unterwegs konnte nur klasse sein.
Zu zweit wollten wir ihn begleiten, er ist so gut wie blind und unterwegs stets auf Führungshilfe angewiesen.
Ein Testlauf über 10km im Juni lief ganz gut, mit frisch geheiltem Bänderriss (er geht ja immer alleine Laufen, wohnt seit 50 Jahren in Leverkusen und kennt nach eigenen Aussagen „jeden Stein“- also fast, bis auf den einen Bordstein
) in 1:09h durch, Führen klappte gut mit einer 30er Bandschlinge, an der wir uns beide festhielten.
Dann, letzten Donnerstag, ging es morgens los; der Leihwagen von Europcar brachte uns so zügig es eben ging in den Süden, abends um 10 schlugen wir das Zelt in Hourtin, 20km westlich vom Start, auf. Freitag gemütlich die Startunterlagen abholen, alles war auf Zirkus gemünzt, selbst das komplette Personal lief als Clown herum- herrlich!
Nachmittags noch ein gemütliches Bad im Atlantik, die Surfer und insbesondere die freikörperkulturfrönenden Damen beguckt, abends noch ein paar Nudeln und ab ins Bett.
Samstag morgen, um 7 Uhr geht der Wecker, eben alles packen, einen Happen essen und los ging es gen Paulliac. Schon 5km vor der Stadt fing der Stau an, die herumlaufenden Menschen gaben uns einen ersten Vorgeschmack, was uns erwarten würde: Wir sahen NIEMANDEN ohne Kostüm. Überall Feen, Ritter, Clowns und dergleichen, das würde spannend werden!
Also gemütlich am Stadtrand geparkt und, begleitet von einem trommelwirbelnden Bandaufmarsch, gen Startlinie gewackelt. Eben die könnte genauso gut in der fünften Jahreszeit am Kölner Dom liegen: Unverkleidete Menschen, das muss man klar sagen, fielen auf.
Brüderchen wollte cool sein, lief mit Sonnenbrille und Laufklamotten, meinem Vater ging das alles nicht so nahe- er wollte die Gaudi nur überleben und hatte zudem immer seinen (zum Glück klappbaren) Blindenstock dabei- und ich hatte daheim praktischerweise noch einen huhnförmigen Topfwärmer gefunden, den ich auf dem Haupte trug und der bei jedem Schritt freudig mit den Flügeln wackelte.
Links von uns eine Doppelausgabe von Michael Jackson, komplett inkl. Glitzerhandschuhe, Hut, Sonnenbrille und Mundschutz, hinter uns an die 20 bunt bemalte Raubkatzen im Fellkostüm, irgendwo liefen einem 3 Borat-Badehosen über den Weg, ein Dinosaurier herzte noch eben einen Cowboy zum Start und dann wurde auch schon runtergezählt.
Peng, Start, es geht los!
Los? Nach etwa 5min konnte man ziemlich weit vorne die Segel des Piratenschiffes verschwinden sehen- ja, viele Gruppen bauen ganze Ensembles als zu schiebende Wagen für die Strecke, danach verschwanden langsam die Zirkusmanegen und das Ruderboot. Als sich auch die komplette, buntgemalte Enten-Karosserie (ja, das komplette Auto...) in Bewegung setzte konnten wir losgehen... geistige Notiz: 100m hinter der Startlinie dauert’s etwa 15min, bis man selbige überquert...
Dann unter Freudengeheul, Anfeuerungsrufen, Trommelwirbel und mit viel Klimbim auf die ersten Kilometer... die sind aber mitunter recht verwinkelt. Immer wieder war warten, Party, Tanzen angesagt, weil die ganzen Schiffe, Autos und dergleichen vorne nicht um die Ecken kamen.
Irgendwann hat man dann eine gleich bleibende, langsame Bewegung intus, der Tross schiebt sich gemächlich durch die Weinhügel. Es wird gemütlich warm, ein Ausblick auf die noch zu erwartenden Temperaturen. Dann die erste Verpflegung: Volvic in Halbliterflaschen, ideal, um es mitzunehmen. Einer passt leitenderweise auf meinen Dad auf, der andere holt eben ein, zwei Flaschen- läuft. Dann setzt sich mein Bruder ab, er will auf Zeit laufen, soll er doch- meinen 17ten Marathon muss ich nicht auch noch durchschnaufen, Spass haben ist hier die Devise!, außerdem werde ich meinen Dad bestimmt nicht im Stich lassen.
Eine Gruppe Gladiatoren zieht vorbei, zwei als Pferde verkleidete Fahrräder mit Lanzenträgern drauf, ein Streitwagen von einem ebensolchen Pferd gezogen, und eine ganze Meute halbnackter Kämpfer mit Helm, Schild und Dreizack... natürlich tragen alle Startnummern, ob man radelt, läuft, fährt ist hier so was von egal, der Spass zählt!
Mitunter kommen erste Feldwege auf, es geht bergan, wieder runter, durch die malerische Weinlandschaft Frankreichs, in der Ferne die traumhafte Kulisse der umgebenden Chateaus... nicht einfach, einen nicht Sehenden hier hindurchzulotsen, aber es klappt.
Rechts überholen Emus, man hänge sich einen Badereifen an Leinen über die Schulter, beklebe das ganze mit vielen, vielen Federn, ein langer Hals mit Kopf dazu, die Beine in eine Strumpfhose stecken, Krallen auf die Laufschuhe und fertig.... links laufen zwei Herren in Turban, dicht gefolgt von zweien im Anzug, während Robin Hood dahinter munter seine Pfeilchen verschiesst (und immer wieder aufhebt). Mordsgaudi!
Das erste von 23 Chateaus unterwegs! Wie wir noch merken werden, sind sie (prinzipiell) alle „gleich“ aufgebaut: Es geht durch den jeweils wunderschön angelegten Park drumrum, im Schlosshof probiert man zur Livemusik einer extra angeheuerten Band den Rotwein, läuft wieder hinaus und weiter. Okay, jeden Rotwein werde ich nicht kosten, das ist mir aufpasstechnisch zu riskant, aber dennoch- der Gedanke hat etwas.
Eben pinkeln, also passt eine ziemlich bärtige, behaarte und auf den Namen Frank hörende rosa Fee auf meinen Papa auf, ich verschwinde eben in den Reben- toll, hier wird einer teuersten Weine produziert, die Reben sind allerdings nur etwa 80cm hoch und kilometerweit sieht man viele, viele Läufer dem Wein seinen ersehnten Dünger zuführen...
Weiter, weiter, abwechselnd auf Feld-, Schotter- und Asphaltwegen führt einen die Route durch die Landschaft, die zwischendurch bei km10 angezeigte Uhr spricht von 1:27h, sollte passen. Die Chateaus versuchen einander auszustechen, was ausstaffierte Fassaden oder prunkvolle Protzbauten angeht, aber dennoch... ab und an gekostet, ist der vollmundige, intensive Rotwein ein echter Genuss, obwohl es sich langsam der 30°C- Marke nähert.
Ein originales Fischerboot überholt, geschoben von etwa 15 singenden, absolut gleich angezogenen Fischern mit Schminkbärten im Gesicht, und glaubt man dem Grinsen der französischen Mitläufer grölen sie nicht wirklich jugendfreie Lieder. Direkt dahinter, im Tigertanga- und NUR im Tigertanga- ein ziemlich behaarter, ziemlich dicker Mann mit Plüschohren.
Langsam muss mein Papa zugeben, dass er sich überschätzt hat, und wir legen die ersten Gehpausen ein; kurz hinter dem Halbmarathon kommt man noch einmal am Lidl in Paulliac vorbei, praktisch, das Armband seiner Uhr ging kaputt und ich kann’s eben in das dort parkende Auto werfen. Übrigens: Die Hilfsbereitschaft ist ein Traum. Egal, weswegen ich mal eben weg muss, sei es Pinkeln, Wasser holen oder Wein, stets findet sich sofort jemand, der ihn an die Hand nimmt. Chapeau!
Nach dem x-ten Schlösschen begrüsst uns ein komplett blau angemalter Schlumpf wie alte Bekannte, der Gute schiebt mit Freunden ein Zirkuszelt über die Strecke... auf den Wegen werden wir jedes Mal von ihnen überholt, an den Degustiacions überholen wir sie immer, und weil er als einziger immer ein, zwei Weinchen mehr kostet, rennt er wie von der Tarantel gestochen stets seinen Kollegen hinterher.
Chateau Rothschild! Selbst wenn man weintechnisch nicht so bewandert sein sollte, dieser Name sagt einem etwas... traumhafte Parkanlage, wie überall halten die Gruppen in erster Linie für ein schickes Photo an. Band, Wein, lecker Essen und... ich glaube, es war einmal ein Trabi, was die da bunt angemalt, mit vielen Boxen versehen und voll mit Bier über die Strecke schieben, überholt uns.
Eine live-Metal-Band später sind wir schon über die 30 hinaus, Papa will gar nicht mehr Laufen, Tribut an’s Alter und jahrelange körperliche Arbeit, wir gehen nur noch... dafür kann man sich super mit den anderen unterhalten, der Elvis neben uns reicht mir kurz das Mikrofon, damit ich ein mir völlig unbekanntes Lied lauthals mitsingen kann... Verstärker, Box und eine Gummipalme hat er ja passend auf einem kleinen Bollerwagen dabei.
Es wird echt warm unterwegs, aber den Umstand, dass es ausschliesslich Volvic und total ekliges maxirgendwas-Iso gibt, kompensieren die Organisatoren exzellent durch den Rest: Riegel sucht man vergebens, dafür gibt’s immer Rosinen, Chips, Tuc-Kekse, Kuchen und Nüsse. Exzellent und lecker! Einige Städte unterwegs haben Rasensprenger an die Seite gestellt, auch eine stets willkommene Erfrischung- von den vielen Lautsprechern, Parties und Grills unterwegs nicht zu reden.
Km37, üblicherweise einer der Orte, an denen die Läufer total- pardon den Ausdruck- abkacken. Es sind noch 5km ins Ziel, fünf lange Kilometer, absolut flach, absolut geradeaus, nirgends Schatten.... man erwartet Cola, Iso, egal, irgendetwas mit Zucker oder Koffein... aber, wir laufen ja Medoc! Also gibt es- natürlich!-
Austern. Mit Weisswein.
Die Clowns mit ihrer Manege (inklusive Tigerkäfig!) laufen unbeteiligt vorbei, die Dusche hingegen probiert die Muscheln sofort.
(Ja. Der Kerl hat sich als
DUSCHE verkleidet)
Mein Vater geht wohl nach eigenen Aussagen schon auf dem Zahnfleisch, da wir aber so langsam unterwegs sind geht’s mir blendend. Km38, wir nähern uns dem Ziel, ob es langsam eine Verpflegungsstelle gibt? Nö, dafür- Schinken, frisch geschnitten, superlecker!
Eine Abteilung von der Luftwaffe überholt uns, ich kann mir angenehmeres vorstellen als bei 30 Grad weintrinkend in einer Uniform zu joggen und dabei noch ein 8m langes Modell eines Düsenjets zu schieben, aber who cares?
Ein Kilometerchen später endlich wieder etwas zu trinken, frischer, schwerer, leckerer Rotwein... mein Dad nimmt lieber Volvic, ich kann dem Wein nicht entsagen, zudem es frisch gebratenes, exquisites
Steak dazu gibt; dazu eine japanische Rockband, die mit ziemlich viel Enthusiasmus versucht, ihr Schlagzeug zu zerstören- klasse!
Ein letztes Mal laufen die beiden Mönche vorbei, die uns so lange begleitet haben: Man nehme eine Platte, schweisse rechts und links ein Fahrradlaufrad daran, noch ein kleines, drittes Rädchen zum Stabilisieren, hinten ein Griff zum schieben, zwei Kästen Bier und eine Stuhllehne. Einer schiebt, der andere sitzt oben drauf und wird geschoben, das im ständigen Wechsel. Im Ziel waren die Kästen leer und die beiden hickehackevoll.
Endlich, die Nummer 40, mein Vater ist total platt aber glücklich, weit ist es nicht mehr... und, bei den Temperaturen, endlich....
Speiseeis! Ich entscheide mich für Schoko-Vanille, aber nicht zuviel, schliesslich gibt es direkt dahinter noch den Freibierstand!
Die Quälerei der folgenden Kilometer erspare ich euch, ich musste den Guten ein wenig Prügeln, um wenigstens ins Ziel zu laufen... aber mit Knie-, Nieren- und Rückenschmerzen war er unter den Umständen mit der 6:45h doch sehr zufrieden.
Nach uns kamen noch ein Haufen Raubkatzen ins Ziel gekrochen (ja, gekrochen), die alle von ihrer knapp angezogenen Dompteurin durch den Reifen gezwungen wurden, das gab bestimmt ein top Photo!
Achja, neben der Medaille bekommt jeder Läufer noch eine Karaffe und eine Flasche Wein des Marathons... und, bei aller Liebe, Roth kann gegen die Zielverpflegung einpacken: Wo sonst bekommt man eine Mischung aus Iso, Rotwein ohne Ende, Freibier, hartgekochten Eiern, Leberwurstbrötchen, Obst, Käsewürfeln und Frischfisch gereicht? Ein Traum!
Zum Auto gewackelt und meinen Bruder gefunden, ursprünglich wollte er unter 4 laufen... na ja, 6:06h isses geworden, er hat jede (!!!) der 23 Weinstationen mitgenommen, alles getrunken was ging und war 3mal in den Büschen, der Magen wollte dann doch nicht.
Dann am Zeltplatz angekommen, einige Stunden geschlafen und abends um 11 losgedonnert gen Heimat, fitnesstechnisch ging das ja. Morgens angekommen, aufgeräumt, gewaschen und noch’n 15er Läufchen drangehängt, interessant, so gaaaaanz langsam gelaufen ist ein Marathon halb so wild!
Also Mädels: Macht das Ding irgendwann in eurem Leben!
Mal ganz ernsthaft, ihr seid genau die Richtigen dafür: Wer hätte Lust darauf, es muss nicht nächstes Jahr sein, dort mit einigen Leuten hinzufahren? Eine gemeinsame Idee, irgendwas basteltechnisches bekommen wir doch auch auf die Beine gestellt, und dann wohlkostümiert dieses Volksfest angehen?