Was ich in dieser modernen Gesellschaft zunehmend kritisieren möchte, ist die fehlende Fähigkeit zur Selbstreflexion. Die meisten Menschen existieren einfach vor sich hin (das großartige Zitat von Oskar Wilde spricht hier schon Bände) und nehmen die schon in mundgerechte Größe zerteilten Happen der Medien unreflektiert auf- ob es nun um Wissen, Politik oder Selbstbestimmung geht, ja, eigentlich um alle Belange, die das menschliche Wesen per se definieren.
Verena beschreibt es schon gut, dass man einfach wieder die Verantwortung seiner (wie auch immer gearteten) Taten übernehmen sollte; diese Taten wären jedoch niemals begangen worden, wenn man sich nicht schon vorher gefragt hätte, wie die Konsequenzen überhaupt hätten aussehen können.
Viele Beziehungen werden zerstört durch Affären ("Ich hatte was getrunken, der Alkohol war schuld"), die Weltwirtschaft geht den Bach runter ("Wenn die Lehman-Brothers das nicht...") und die meisten Beschwerden, dass die aktuelle Mediengesellschaft unter aller Sau ist, weil die Qualität leidet, findet man- in den Medien ("Woanders hört mich ja keiner").
Natürlich wäre es toll, immer einen Schuldigen finden zu können, und, wenn man selbst es ausgebrütet hat, dies auch zuzugeben; jedoch passieren die meisten, wenn nicht fast alle dieser Dinge absolut vorhersehbar. Wenn ich auf einer Party wen interessant finde, sollte ich vielleicht nicht so viel trinken; möchte ich mein Geld vermehren, sollte mir der normale Menschenverstand schon aufzeigen, dass eine Aktie mit 15% Wertsteigerung vielleicht nicht die beste Idee ist, und eine Kritik an der Mediengesellschaft pervertiert sich selbst, wenn sie in eben dieser veröffentlicht wird.
Die einzelnen Beispiele werden wahrscheinlich nicht hieb- und stichfest sein- auf der Party hört man eben auf sein Herz, die Weltwirtschaft kann (angeblich) nur mit hohem Wachstum funktionieren, und Kritik macht nur Sinn, wenn sie auch von anderen vernommen wird- doch zeigen sie meines Erachtens nach die Tendenz an, dass kaum ein Depp heutzutage noch wirklich nachdenkt.
Eine wirklich kritische Haltung wird man niemals erreichen können, das steht ausser Frage; dafür gibt es mittlerweile einfach zu viele verschiedene Medien, via denen ich mich informieren kann. Jedes noch so neutral verfasste Blatt wird immer eine Grundtendenz in welche Richtung auch immer haben; auch gibt es mittlerweile, gerade durch die (großartigen?) Möglichkeiten des Internets weltweit ein Gros an Informationen, zu viele, dass man sie in einem Leben erfassen kann.
Beeste hat es in seinem Satz gut zum Punkt gebracht,
beeste hat geschrieben:
Das Leben meiner Grosseltern war im Gegensatz zum Leben heute ziemlich ueberschaubar.
doch nehmen wir uns mit dieser Aussage nicht selbst die Mündigkeit, einfach das Leben, wie es heute ist, nach bestem Wissen und Gewissen selbst zu erleben, zu gestalten? Evolution war immer nur durch Anpassung möglich, und ich denke nicht, dass sich die Menschen in den letzten 3000 Jahren großartig verändert haben (von Volkskrankheiten wie Krebs, Neurodermitis und den anderen Zivilisationsseuchen abgesehen).
Nur die Umgebung hat es; wo man sich früher zur politschen Selbstbestimmung einige Steintafeln durchlesen oder einige Reden anhören musste, um politisch up-to-date zu sein, kann man es heute allein zeitlich nicht schaffen; zu viele Informationen zu allem gibt es. Es ist schlichtweg nicht möglich, das zu schaffen- also bleibt als einzige, logische Alternative das Arrangieren mit der aktuellen Situation; die Welt, in der wir leben, von Grund auf ändern ist, galant formuliert, schwierig. Aktuelle knapp 7 Milliarden Menschen generieren einfach zu viele Daten, als dass man diese sinnvoll für den Einzelnen aufbereiten könnte.
Dass ein Großteil derer sich leider vorführen lässt, alles Servierte kompromisslos und ohne zu Hinterfragen schluckt- schade; die moderne Technik macht es ihnen aber auch verdammt leicht, aus diesen Schemata nicht ausbrechen zu wollen (nicht, dass ich mir jetzt das dunkle Mittelalter zurückwünschen würde, es wird nicht zu unrecht als dunkel bezeichnet. Aber auch dort gab es einige Lichtblicke der Menschheit, alleine die gotische Baukunst kann so düster nicht gewesen sein)
Hartz4 ist heutzutage sehr einfach zu bekommen, die Wohnung bezahlt, und wenn ich dann 24/7 daheim World of Warcraft spiele oder in einem anderen Sumpf, sei es online oder RTL2, versinke, so ist das Leben zwar determiniert, festgefahren, "dumm"- aber auch zugegebenermaßen sowas von verdammt einfach zu leben. (und, nein, das war keinerlei Kritik an irgendjemandem, der oben genannte Bezüge erfährt).
Würde ich aber mein freiheitsliebendes, fernsehfreies Denken den anderen Lemmingen zu vermitteln versuchen, würde ich damit auch mir selbst einen großen Teil (=Zeit) eben dieser Freiheit nehmen.
Ich habe das einmal mit einer Sinuskurve verglichen; wir hinterfragenden, tiefgehenden Menschen haben ab und an echte Sternstunden der Erkenntnis und der Liebe, aber auch dementsprechend tiefe Löcher, in die wir fallen können; wir hinterfragen den Platz im Universum, stellen unseren Charakter infrage oder finden ganz andere Dinge von Grund auf falsch. Dennoch wird die Summe aller Höhen und Tiefen immer eine 0 sein.
Demgegenüber haben jene, die keiner Aufklärung bedürfen (oder sie nicht wollen) natürlich nicht solch hohe Ausschläge im positiven Bereich. Die Amplitude sinkt aber auch nicht so weit, dass sie alles und jeden unbedingt erklärt haben müssen. Es ist einfacher, so zu leben, aber eben diese Höhen fehlen auch.
Da gehe ich lieber das Risiko ein, ab und kein Licht sehen zu können, im Wissen, dass die Sonne irgendwann wieder scheinen wird, wie unzufrieden ich mit mir oder der Gesamtsituation gerade auch bin.