jetzt hat sogar die F.A.S. Andrea Berg entdeckt
Zitat:
Eine Frau
Über sieben Millionen Platten hat Andrea Berg verkauft, und das ohne viel Werbung. Leise Lieder, schrille Outfits, keine Interviews - wie passt das zusammen? Ganz einfach, heißt es.
Von Pascal Morché
"NRW" - drei Buchstaben, die unter Erotomanen für das Bundesland mit der größten Swingerclubdichte Deutschlands stehen. Es ist das Land, wo sich Lebenslust nicht nur im Karneval schrill-frivol verpackt. In Nordrhein-Westfalen greifen besonders viele Frauen zum blauen Kajal-Stift, und hier tragen auch ganz besonders viele Frauen Fußkettchen. Solche Äußerlichkeiten sollen aber nicht davon ablenken, dass gerade "NRWler" (so nennen sie sich selbst) "das Herz am rechten Fleck haben". Wenn man es in dieser Region "geschafft hat" und mit Freunden seinen Lebenserfolg feiern will, dann fährt man nicht nach Lech, Kitzbühel oder gar nach St. Moritz, um es krachen zu lassen. Dann fährt man an den Tegernsee. Wo sonst sieht man außerhalb von NRW so viele Autos mit rheinländischen Kennzeichen wie auf den Straßen rund um diesen bayerischen See?
Andrea Berg hat allen Grund zu feiern: Die einundvierzigjährige Schlagersängerin hat erreicht, was selbst Pink Floyd und die Beatles nicht geschafft haben: Mit ihrem "Best of"-Album ist sie seit 320 Wochen in den deutschen Charts. Sie hat über sieben Millionen Platten verkauft. Das bescherte ihr vier Echos, elf Goldene Schallplatten und ihrer Plattenfirma BMG satte Gewinne. Ein unglaublicher Erfolg in der deutschen Musikgeschichte, und der sollte nun endlich einmal gefeiert werden. Wo? Im schönen "Seehotel Überfahrt" in Rottach-Egern am Tegernsee. Denn Andrea Berg lebt zwar seit ihrer Heirat vor einem Jahr in Stuttgart, stammt aber aus NRW, genauer aus Krefeld. Das erklärt erstens ihre ehrliche Liebe zum Outfit, das "geil" zu nennen absolut passend ist, und zweitens erklärt es eben die Positionierung ihres Herzens: "am rechten Fleck" nämlich.
Das schlägt auch in einem Superstar, der bis zu 40 000 Euro pro Auftritt verlangen kann - sechzig Auftritte waren es im vergangen Jahr. Kommt Andrea Berg, sind Hallen mit bis zu 12 000 Menschen mühelos ausverkauft, und ihre CDs fließen ab, palettenweise. Das Wundersamste aber an diesem Wunder: Für diese nun schon seit 1992 andauernde, unaufhaltsame Berg-Tour arbeitet keine PR-Maschinerie, wird keine Werbetrommel gerührt; und Interviews gibt Andrea Berg ebenso viele wie Patrick Süskind: gar keine.
Versucht man es dennoch damit, so bleibt es unbefriedigend, und zwar für beide Seiten. Misstrauisch und schmallippig, im kürzesten Minikleid und auf höchsthackigen Dior-Pumps pariert Berg Fragen mit Antworten wie: "Ich mach Musik für Menschen, die mich mögen", oder: "Ich spüre bei jedem Konzert die Verbindung zu den Menschen", oder: "Dass die Menschen mich lieben, macht mich dankbar", oder: "Für mich waren die Menschen immer ganz wichtig."
Am Ende hat man erfahren: Es gibt "die Menschen", und es gibt sie. Man versteht, warum gerade ihr Schlager mit dem Titel "Gefühle haben Schweigepflicht" zu einem ihrer größten Hits wurde: Andrea Bergs selbstauferlegte Schweigepflicht ist keine Masche; vielleicht steht dahinter nur die Angst, dass man ihre Ehrlichkeit durchschauen könnte und sie selbst dann schutzlos wäre.
Regelmäßig wird sie zu Kerner und Beckmann eingeladen: Sie geht nicht hin. Homestories in "Bunte" oder "Gala"? Fehlanzeige. Und als sie vor einem Jahr den Hotelier Uli Ferber heiratete, gab es keine Bilder für die Presse. Die Hochzeitsfotos stellte Berg auf ihre Website "für meine Fans, die Menschen, die mich lieben".
Nun aber, hier am Tegernsee, "bei einem lustvollen Abend mit meiner Mama, meinem Papa, meiner Schwiegermama, meinem Piloten, meiner Freundin und so vielen anderen Menschen", kommt man dann dem Phänomen Andrea Berg doch etwas näher. Man lernt eine Frau kennen, die ebenso authentisch ist wie "die Menschen", die ihre Platten kaufen.
Und Schlagerfans kaufen - wohl auch aus dem Gefühl, ihrem Idol wirklich Gutes zu tun - noch Platten, anstatt sich Songs aus dem Netz herunterzuladen oder CDs zu brennen. Schlagerfans sind treue Wesen und lassen sich wenig manipulieren durch Medien, weshalb es diese Sängerin verschmerzen kann, dass es kaum mehr TV-Formate wie ehemals die "ZDF-Hitparade" für ihre Musik gibt - und in den "Musikanten-Stadl" passt sie ja ohnehin nicht. Berg ist nicht Borg. Denn wo der Andy irgendwelche Holzhackerbuam blöde jodeln lässt, da bietet die Andrea lyrischen Tiefgang: "Ich lieg in deinem Arm / Das Eis in mir wird warm." Andrea Bergs Lieder handeln weniger von der Liebe als von der Sehnsucht nach ihr: "Die Sonne steht am Horizont / Und du stehst neben mir / Und ich hab Angst, dass ich heut Nacht / An dich mein Herz verlier." Nein, all diese Texte beschreiben keine wirklich glückseligen Momente: "Du, die Straßen sind / Total verschneit / Und kein Taxi kommt / Um diese Zeit"; oder sie zeigen Liebesunfähigkeit als Folge zu langen Zögerns: "Bis dich der Wein zu müde macht / Für eine schöne Liebesnacht."
Frauen am Ende ihres vierten Lebensjahrzehnts lieben diese Lieder. Und weil gerade zur Menopausen-Melancholie auch das grelle, schrille Sich-Aufbäumen gehört, trägt Andrea Berg zu ihren leisen Liedern so laute Outfits: kürzeste Röcke, Strapse und schenkelhohe Stiefel. Eigentlich müsste das Publikum, gerade das weibliche, aufschreien: "Was sieht die nuttig aus!" Tut es aber nicht, es bewundert Andrea Berg für ihren Mut. Und die wiederum "will Frauen Mut machen, sich auch zu trauen, so sexy zu sein. Denn irgendwo", so Berg, "ist die Erotik das Salz in der Suppe."
Der Koch der Suppe ist natürlich auch beim Bergfest am Tegernsee anwesend: Eugen Römer aus Köln. Er ist der Komponist und Produzent dieser singulären Schlagersängerin seit der ersten Stunde, seit ihm damals, 1992, ein Demoband zugespielt wurde. Das hatte die gelernte Arzthelferin Andrea Berg aufgenommen, wenn sie mal nicht auf der Intensivstation und in der Abteilung Onkologie arbeitete, sondern mit ihrer Band durch Discos tingelte. Eugen Römer - "Ich schmecke Gefahr und rieche Erfolg!" - roch den Erfolg.
Der Mann mit der gegelten Günther-Netzer-Haarmatte hat einen Privatjet, raucht aber Zigarillos der Marke Clubmaster. Bei allem Erfolg blieb Römer eben doch auf dem Boden, wenn auch auf stark erhöhten Schuhsohlen. Fünfhundert Lieder hat er komponiert, "davon 150 für Andrea". Während sich ans Schaustellergewerbe erinnernde Schlagerleute nun beim Gängemenü feiern, lobt BMG-Boss Edgar Berger jene, "die die Tonträger von der Andrea an den Endverbraucher bringen". Beispielsweise die Leute von "Media-Markt", "die immer durch Mengen und Masse überzeugen". Da sitzt Andrea Berg mit gefrorenem Lächeln am Tisch bei ihren Eltern und ihrem Mann, der stark an Tony Blair erinnert. Scheu und schüchtern wirkt sie jetzt, als habe sie Angst, als Produkt und nicht als Mensch wahrgenommen zu werden.
Eugen Römers Blick auf seinen Homunculus ist klar: "Laut sein können sie alle. Die Leisen haben Erfolg." Man müsse so einen Erfolg dramaturgisch aufbauen; dadurch erzeuge man wie im Fall Andrea Berg eine gewisse Mystik. "Natürlich ist diese Medienverweigerung Teil meiner Philosophie, aber sie entspricht auch Andreas Mentalität."
Wo Frauen "eine gewisse Mystik" umgibt, sind schwule Fans nicht weit. Eine Tuntenmutter, das klassische faghag, sei Andrea Berg jedoch nicht - "aber natürlich Teil dieser Kultfraktion" aus Zarah Leander, Evelyn Künneke, Marianne Rosenberg oder Rosenstolz. Zu ihnen allen gehört bei aller Offenheit die Unberührbarkeit.
So wird und will Andrea Berg weiterhin unerkannt bleiben: Wenn sie in einem Dirndl im Hotel ihres Mannes Schnitzel klopft und Bier zapft; oder wenn sie mit ihrer Tochter bei "Breuninger" in Stuttgart einkauft. Und sie wird es auch weiterhin nicht an die große Glocke hängen, dass sie das Hospiz Am Blumenplatz in Krefeld größtenteils finanziert. "Dat is so'n Krefelder Klüngel: Die Oberin vom Krefelder Roten Kreuz hat den Bassisten meiner alten Band geheiratet." Sie leite das Hospiz. "Für die Aufnahme dort ist die einzige Bedingung, austherapiert zu sein."
Viel später in der Nacht, die Eltern liegen längst im Bett, glücklich, dass die Tochter, die einst bei McDonald's mit Aschenbechern warf und immer mit dem Motorrad unterwegs war, "es geschafft" hat. Nur die härtesten Vertriebsleute und Freunde halten jetzt noch durch und erzählen schmutzige Witze. Foxy-Lady Andrea Berg kann da bestens mithalten, sagt aber zwischendurch auch ziemlich klar: "Jeder Mensch ist ein sterbender Mensch." Und das sei eigentlich ja nicht so schlimm.
Dann kramt sie zwei Prospekte aus ihrer Birkin-Bag von Hermès. Auf dem einen steht: "Mit allen Sinnen genießen". Es ist der Hotelprospekt ihres Mannes; auf dem anderen steht: "Begleiten in der letzten Lebenszeit". Den ganzen Kosmos ihrer Schlager - Andrea Berg trägt ihn immer mit sich.