vb_man hat geschrieben:
Auf geht's Herr Kaiser; erkläre mir bitte was eine gerechte und würdevolle Hinrichtung ist.
Hmmm. Ich versuch mal einen ernsthaften Kommentar. Und philosophiere ein wenig vor mich hin.
Da kollidieren wohl die Ansichten. Nehmen wir für dieses Posting an, ich befürwortete das Verhängen der Todesstrafe. Selbst dann kollidieren noch Ansichten.
Dann ist sie dann gerecht, wenn der Delinquent definitiv und ohne die Möglichkeit des Irrtums schuldig ist und ein Gesetz im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, meinentwegen eben wegen Kindsmordes oder in Saddams Fall Völkermord oder was weiß ich, für sein Verbrechen diese Strafe vorsieht. Dann würde ich mir aber folgendes denken: Wenn ich ein Verbrechen als so schrecklich erachte, dass ich dem eindeutigen Täter das Recht auf Leben aberkennte, was ja das höchste aller Menschenechte ist, sonst würde ich nicht die schwersten Verbrechen damit belegen, warum sollte ich ihm dann einen würdevollen Tod zuteil werden lassen? Hat er einen würdevollen Abgang verdient, wenn er seinem/seinen Opfer/n diesen verwehrt hat, wofür ich ihn nun eigentlich bestrafe? Kann das Verwehren der Existenz, sei es denn gerecht, demnach überhaupt ein würdevolles Ende nehmen?
Von dieser Seite komm ich nicht weiter, also mal andersrum probieren.
Würde...nun, es fällt ein wenig schwer, den Begriff im Zusammenhang mit einer Hinrichtung zu beschreiben, es gibt wohl etwas mehr Text, aber ich bin ja immer noch dafür, also los. Wie ich finde ist das eine Frage des Blickwinkels. Eine Hinrichtung ist also für den Delinquenten würdevoll, wenn sie schnell und schmerzlos erfolgt. Historienexkurs: bis ins Mittelalter war die Enthauptung als nicht grundsätzlich ehrenrührige Todesart zunächst dem Adel vorbehalten, die Plebs wurde gehängt (das dauerte damals mitunter Minuten, weil der Tod meist tatsächlich durch Erwürgen eintrat) oder Schlimmeres. Das mag so gewesen sein, weil die Kriterien "schnell und schmerlos" beim Enthaupten wohl erfüllt sind. Nachdem er weiß, dass er nicht mehr lang leben wird, dürfte sich ein Hinzurichtender kaum über mehr Gedanken machen. Beim "modernen" Erhängen sind diese Kriterien allerdings in der Regel auch gewährleistet.
Das hat Bush also wohl nicht gemeint. Das bringt mich zu der Frage, was eine Hinrichtung für den Zuschauer würdevoll macht. In der westlichen Welt (also in den USA, sonst macht das ja keiner mehr) werden die Tötungsarten Enthaupten gar nicht mehr und Erhängen nur sehr selten angewandt. Warum? Meggele meinte in dem anderen Fred, dass es wohl daran liegt, dass das Köpfen auf jeden Fall und das Hängen immerhin gelegentlich eine Riesensauerei gibt. Das Bild einer klinisch sauberen Hinrichtung ließe sich so nicht aufrechterhalten. Das mag zutreffen. Die Amerikaner haben sich vermutlich deswegen verschiedene fragwürdige Möglichkeiten ausgedacht, bei denen dieses Bild zumindest nach außen idR gewahrt bleibt. Dass die Kriterien des Delinquenten dabei wahrscheinlich nicht erfüllt sind -> brauch ich gleich, um die Kurve zu "gerecht" zu kriegen. Saddam wurde aber doch erhängt, zwar ohne Sauerei, aber dennoch. Die optische Sauberkeit hat er demnach auch nicht gemeint. Kurzum, er hat sich wahrscheinlich einfach auf die mehr oder weniger schmähenden Bemerkungen vor und nach dem Genickbruch und vor allem deren Mitfilmen bezogen. Für den Delinquenten mag beides, Sauerei wie Dummgelaber, herzlich gleich sein. Da die Henkung "geglückt" ist könnte man speziell Saddams Hinrichtung als vollständig würdevoll bezeichnen, wenn man das Beleidigen unterlassen hätte, oder zumindest das Filmen und Veröffentlichen desselben, es geht ja, wie ausgeführt, dabei um die Meinung der Öffentlichkeit. Eine Todesstrafe kann, wie wir sehen, für alle Beteiligten würdevoll vollzogen werden. Ist sie jetzt auch gerecht?
Warum wird diese Art Strafe vollstreckt? Gibt zahlreiche Argumente (Schutz, Kosten, Abschreckung...) und alle sind nachweislich Unsinn. Mit einer Ausnahme: Vergeltung und Rache. Das sind zwar sehr primitive Gründe, aber ich kann sie immerhin nachvollziehen. Als gerecht empfände ich dann, dem sicheren Täter etwas ähnliches anzutun, wie seinem Opfer angetan wurde. Die US-amerikanischen Hinrichtungsarten verursachen möglicherweise bis wahrscheinlich nicht nur hin und wieder einen äusserst qualvollen Tod, der Forderung nach Gerechtigkeit, der definitiv schuldigen Person wurde die weitere Existenz verweigert und Rache wurde angemessen geübt, ist genüge getan. Der Forderung nach Würde jedoch nicht.
Wende ich das alles auf den Fall Saddams an, schließe ich, dass diese Hinrichtung weder gerecht noch würdevoll war. Ich schließe weiter, dass, wenn Gerechtigkeit UND Würde meine Maßgaben für das Vollstrecken sein sollen, die Todesstrafe nicht verhängt werden darf, da beides nicht nebeneinander erfüllt sein kann. Darüber bin ich sehr erfreut, weil ich jetzt einen Grund mehr habe, gegen die Todesstrafe zu sein. Und weil ich meine Argumentationskette soweit auch bei nochmaligem lesen deduktiv einwandfrei finde -> Sorry Mr. Bush, Sie sind im Irrtum, wenn Sie glauben, dass das
Zitat:
„Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass der Vorgang würdevoller abgelaufen wäre“
gegangen wäre.
Wie schön, dass ich
noch Urlaub habe, da kann ich mir so was ausknobeln. Über weitere und neue Ansichten bin ich wie immer dankbar. Viel Spass beim zerpflücken, ein gutes Gedicht hält das aus, meint Brecht
, ich geh derweil mal in den Getränkemarkt.
Grüße
Andi