wehaka hat geschrieben:
Wieso wird dieser großartige Tag hier eigentlich nicht gewürdigt?
Ich finde, die Erfindung der Toilette ist ungefähr gleichbedeutend mit der Erfindung des Rades.
War heute morgen im Wissenschaftsteil der F.A.S. das erste was ich gelesen habe (noch vor Sport Gesellschaft und Politik)
Wie wir es wegspülen
Heute ist Welttoilettentag. Er lädt ein zur Annäherung an ein gerne verdrängtes Stück Alltagstechnik. Von Michael Stang
Gelsenkirchen. "Nehmen Sie besser ein Pfefferminz", empfiehlt Mete Demiriz auf dem Weg in sein Labor. Gerüche seien zwar nicht zu erwarten, aber etwas Erfrischendes ist dort doch ganz angenehm. Demiriz untersucht Toilettenanlagen unter Realbedingungen, und die findet er im Mensagebäude der Fachhochschule Gelsenkirchen. Zwischen den Damen- und den Herrentoiletten hat sich der Professor für Sanitärtechnik einen Kontrollraum eingerichtet, in dem er nicht nur sehen kann, was die Mensabesucher alles in die Kanalisation spülen, sondern auch, auf welche Weise sie das tun und wie oft.
An der linken Wand laufen die durchsichtigen Abflußrohre aus den Damentoiletten zusammen, rechts die aus den Urinalen und Toiletten der Herren. Die Abflußrohre haben ein Gefälle zwischen einem und fünf Prozent und sollen so für den reibungslosen Abtransport sorgen. In den ersten fünf Minuten gibt es trotz der zur Mittagszeit vollbesetzten Mensa lediglich zwei Toilettenbenutzungen. "So ist das fast überall" sagt Demiriz, "zu viele Toiletten in Gebäuden wie Schulen oder Universitäten." Daten darüber, wo, wann und wie oft diese Toiletten benutzt werden, gebe es kaum. Effektives Toilettenmanagement sei daher selbst in Neubauten selten.
Dabei hat sich die Toilettenbenutzung verändert. Im Zuge des Umweltbewußtseins in Deutschland wurde schon früh Wasser gespart. Die alten Neun-Liter-Spülkästen gibt es längst nicht mehr, und auch ihre sechs Liter fassenden Nachfolger werden zunehmend gegen 4,5-Liter-Spülkästen ausgetauscht - oft jedoch zum Nachteil des Systems. Fehlt nämlich eine bestimmte Wasserspülmenge, sind die alten Abflußrohre zu groß, um Fäkalien samt Schmutzpapier zum nächsten Fallrohr zu schwemmen.
Die besondere Herausforderung für die Sanitärtechnik liegt für Demiriz darin, daß sie es mit einem diskontinuierlichen Prozeß zu tun hat. "Das ist wie bei einem Tsunami. Normalerweise ist es trocken, und plötzlich kommt mit einer Wucht die Toilettenentleerung. Die Spülung muß das aber auch alles auf einmal schaffen." Ist zuwenig Wasser da, muß nachgespült werden; der Wasserverbrauch steigt wieder, und der ökologische Vorteil ist dahin. Von vornherein viel Wasser benötigen die in Deutschland kaum bekannten Absaugeklosetts. Diese vor allem in Nordamerika übliche Variante verbraucht generell 15 Liter Trinkwasser pro Spülgang, bei dem großzügig alles per Unterdruck abgesaugt wird. Bei uns trifft man in den stillen Örtchen überwiegend auf Porzellan-Tiefspüler. Die Fäkalien werden dabei nach dem Abwurf direkt vom Wasser geruchssicher umschlossen; allerdings zum Nachteil, daß der hohe Fall unangenehmes Spritzwasser verursacht. Bei den Flachspülern, bei denen das Resultat im nachhinein auf einer Ablage noch einmal betrachtet werden kann, spritzt es zwar in der Regel nicht, dafür ist es dort mit der Geruchssicherheit nicht weit her.
Deshalb hat ein schnelles Abspülen für viele Benutzer Vorrang. Damit dies gewährleistet ist, greift in Europa die Norm DIN EN 997 "für Klosettbecken mit angeformtem Geruchsverschluß". Damit solche Normen überhaupt greifen, testen Forscher wie Mete Demiriz in Gelsenkirchen im Labor die Stärken und Schwächen der einzelnen Becken. Wichtigstes Hilfsmittel bei solchen Tests sind sogenannte Normprüfkörper: selbstgebastelte Kunstwürstchen. Dabei füllt Demiriz Kunstdarm mit Wasser, kleine Gummiringe unterteilen sie in drei Abschnitte, darüber kommt noch Gaze. Bei der DIN-Prüfung müssen vier solcher Körper mit 4,5 Litern Wasser gespült werden, zudem muß die Nachspülmenge mindestens 2,5 Liter betragen. Aber nicht nur einzelne Feststoffe werden getestet. Die Sägemehlprüfung, die die Flächenspülung untersucht, hat Demiriz erweitert - mit Pflaumenmus. Das setzt sich farblich gut ab und besitzt eine realitätsnahe Klebrigkeit. Mit in Pflaumenmus getauchten Prüfkörpern lassen sich daher realistische Bremsspuren erzeugen.
Die größte Herausforderung für Klosettbecken sind jedoch leichte Schwimmkörper, etwa Zigarettenfilter. Da sie nicht sinken, werden sie nicht durch den eigentlichen Spülgang mitgerissen, sondern meist erst durch nachlaufendes Wasser. Schneller als das übliche Abspülen ist das Absaugen bei den Vakuumtoiletten, wie man sie vor allem in Zügen oder Flugzeugen findet. Da diese mit Druckkabinen ausgestattet sind, hält sich der technische Mehraufwand, den dieses System mit sich bringt, in Grenzen. Dabei zerreißt Unterdruck die Feststoffe, während er sie durch eine kleine Absaugöffnung in einen luftdichten Sammeltank zieht. Das zugefügte Wasser dient lediglich als Gleitmittel und wird nur in geringen Mengen benötigt. Die Bordtoiletten des Airbus 380 benötigen für ein "Normalgeschäft" nur 0,15 Liter.
Vakuumtoiletten finden zunehmend auch in großen Gebäuden Verwendung, aber nicht wegen ihres geringen Wasserverbrauchts, sondern wegen der Flexibilität, die sie den Bauherren bieten. Herkömmliche WCs dürfen nur maximal fünf Meter vom nächsten Fallrohr entfernt stehen. Bei Vakuumtoiletten können die Fäkalien wesentlich weiter durch die Waagerechte transportiert werden. Das erleichtert etwa die Planung von Einkaufszentren, deren Gebäudekonzept bei der Planung noch nicht steht - wo also noch nicht bekannt ist, ob eine bestimmten Fläche, für ein Restaurant (viele Toiletten) oder etwa ein Sportgeschäft (wenig Toiletten) genutzt werden wird.
Noch flexibler, da gar nicht an das Abwassersystem angeschlossen, sind die mobilen Toilettenkabinen. Ob ToiToi oder Dixi, spätestens bei Freiluftgroßveranstaltungen hat jeder einmal die Bekanntschaft mit den Toilettenhäuschen gemacht. Bereits 1973 brachte Fred Edwards das mobile System aus Amerika nach Deutschland und hatte mit seinen Dixi-Häuschen Erfolg. Vor neun Jahren fusionierten Dixi und ToiToi und versorgen nach eigenen Angaben heute als Marktführer Baustellen, Gemeinden, Militärs, Hilfsorganisationen und Großveranstalter mit ihren Kabinen. "Die Fußballweltmeisterschaft war dabei nicht einmal das Topereignis", sagt Andreas Sonius. "Der Papstbesuch beim Weltjugendtag 2005 in Köln war unsere bislang größte Herausforderung." Der Geschäftsführer der NRW-Zentrale mußte dafür über 100 000 Kabinen auftreiben. Das alltägliche Geschäft machen ToiToi und Dixi aber mit der Belieferung von Baustellen. Etwa 80 Euro kostet eine Standardkabine für vier Wochen, inklusive Lieferung, Entleerung und Entsorgung in der nächsten Kläranlage. Die Zusatzstoffe in den Toilettencontainern, ein Gemisch aus Muschelkalk, Zitronensäure, Algen, Tensiden, Ölen und Farbstoffen, ist biologisch abbaubar. Zukünftig soll der Inhalt der Toilettenkabinen auch getrocknet werden, um dann ähnlich wie Kameldung als Brennstoff dienen zu können.
Das System mit den transportablen Plastikhäuschen ist für Sonius längst nicht ausgereizt. "Mittlerweile haben wir auch Angebote für die gehobene Preisklasse." Luxuscontainer verfügen über Warmwasserwaschbecken, Spiegel, marmorierte Wände und sollen so gar nicht mehr an die "Dixis" erinnern. Diese werden bei Autorennen oder Open-air-Konzerten schon mal gern durchschüttelt, was bei dem in der Kabine Sitzenden für berechtigte Panik sorgt - schließlich bieten die Standardkabinen den freien Blick nach unten.
Den ermöglicht auch das Testabflußsystem eines Mehrfamilienhauses in Mete Demiriz' Labor in Gelsenkirchen. Acht Meter hoch und 15 Meter breit sind Toiletten, Waschmaschinen, Urinale und Waschbecken mit Zu- und Abläufen auf einem Metallgerüst verbunden. Mit einem Computer kann Demiriz jeden Wasserhahn öffnen und schließen, ebenso jeden Stöpsel. Damit testet der Sanitärforscher die Sogwirkungen an einzelnen Wasserknien und Abflüssen, die durch Spülvorgänge entstehen, um mögliche Installations- und Planungsfehler zu entdecken. Ein 45- Grad-Winkel direkt vor dem Fallrohr bewirkt einen so starken Sog, daß das Wasserknie im Siphon einer Toilette nicht mehr wasserdicht abschließt. Dieser Fehler hatte in einem Haus in Bayern vor ein paar Jahren zur Folge, daß sich die Badezimmer der Mieter allmählich mit Kanalisationsduft füllten.
Über solche Luxusprobleme kann Barbara Wagner von der German Toilet Organisation e.V. (GTO) mit Sitz in Berlin nur lächeln. Nach Angaben der Vereinten Nationen leiden 2,6 Milliarden Menschen unter schlechter oder unzureichender Versorgung mit sanitären Anlagen. Aber nicht nur in Entwicklungsländern. "Viele Menschen bemängeln die unzureichende Versorgung und den Zustand öffentlicher Toiletten", sagt Wagner. Während der private Bereich hierzulande einen hohen Standard aufweist, seien öffentliche Bedürfnisanstalten stark von fehlender "Toilettenkultur" geprägt. Die spricht auch aus so mancher Baubestimmung, etwa der, daß Damen- und Herrentoiletten die gleiche Grundfläche aufweisen müssen. "Die Vorschrift stammt aus einer Zeit, als die Damen noch nicht regelmäßig das Haus verlassen durften", sagt Wagner. Die Folge kennt jeder aus der Theaterpause: vor den Damentoiletten bilden sich Schlangen. Deshalb fordert die GTO, daß die Anzahl der Kabinen für die Damen der Zahl der Herrenkabinen und der Urinale zusammen entspricht.
Andere Probleme, die Frauen mit öffentlichen Toiletten haben, sind da kniffliger. Eine von Mete Demiriz durchgeführte Umfrage ergab, daß sich 96 Prozent der Frauen nicht auf einen öffentlichen Klositz setzen. Die Alternativen reichen vom "Nestbau" (mehrere Lagen Papier auf der Brille) über das Freihocken bis hin zum Urinieren aus dem Stand. Dazu kommt, daß ein Viertel noch vor der eigentlichen Benutzung die Spülung betätigt. Zusammen mit dem Hauptspülgang und der Beseitigung von Benutzerspuren und Nestbaupapier addiert sich so der Wasserverbrauch pro Toilettenbesuch schon mal auf 18 Liter. Das daraufhin von Demiriz entwickelte Frauenurinal "Efeu" konnte sich bislang aber nicht durchsetzen. Mehr Erfolg beim Wassersparen verspricht das Gerät Otohime ("Geräuschprinzessin") aus Japan. Da viele Frauen der Gedanke peinlich berührt, daß während des Toilettengangs Körpergeräusche für andere wahrnehmbar sind, betätigten sie zusätzlich die Klospülung, um diese zu übertönen. Die damit einhergehende Wasserverschwendung ist enorm. Die Otohime imitiert nun das Geräusch der Wasserspülung und ist in Japan auf öffentlichen Toiletten mittlerweile Standard.
Überhaupt muß das Inselreich in Fernost heute als die Führungsnation in Sachen Toilettentechnik angesehen werden. Eines ihrer neuesten Beiträge ist das Washlet. Auf den ersten Blick gleicht es einer herkömmlichen Sitztoilette, doch den Unterschied bemerkt der Benutzer bald, etwa an der temperierten Klobrille, dem Warmluftgebläse und dem automatischen Deckelöffner. Auch die Spülung betätigt sich automatisch, und ihr Wasserstahl ist in Stärke und Temperatur regulierbar. Zur Grundausstattung zählt auch die Bidetfunktion mit selbstreinigender manuell steuerbarer Wasserdüse. Komfortmodelle bieten sogar pulsierende Wasserstrahlen, die nach Angaben der Hersteller gegen Verstopfung und Hämorrhoiden wirksam sein sollen, spezielle Seifenzugaben sind ebenfalls möglich. Und da die alternde Gesellschaft auch in Japan ein Thema ist, gibt es Seniorenmodelle mit Armlehnen. Ihre Sitze klappen nach der Benutzung nach vorne und helfen so beim Aufstehen. Im Dunkeln lassen sie sich dank integrierter Leuchtfunktion auch ohne Licht und Brille finden. Selbst die Ermittlung von Blutzuckerwerten im Urin ist kein Problem, ebensowenig wie das Messen von Puls- und Blutdruck und Körperfett. Die Daten können direkt mit einem internetfähigen Mobiltelefon an den Hausarzt gesendet werden.
Ob Hightech-Klo oder eine schlichte, aber saubere Toilette, die World Toilet Organisation ist froh um jedes benutzerfreundliche WC. Auch wenn Kuriositäten wie etwa der Toilettenführer von Singapur, der die 500 besten Toiletten mit einem Fünf-Sterne-System bewertet, die Menschen ebenso belustigt wie die Wahl zum "Klo des Jahres" Anfang Dezember in Irland, so erreichen diese Aktionen eines der Ziele des heutigen Welttoilettentages: die Enttabuisierung der stillen Örtchen.
Literatur: Morna E. Gregory und Sian James, Stille Örtchen, Knesebeck-Verlag, München 2006
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.11.2006, Nr. 46 / Seite 74