Hier ist ein kleiner Artikel zur Schweizer Sprachbefindlichkeit aus der SZ. Wenn ihr ihn gelesen habt, könnt ihr mal vertellen, was daran stimmt und was nicht.
Schweiz
Dialekte mit Gefühl und Witz
Schwyzerdütsch gilt als cool, aber auch als heimelig, es kommt friedlicher daher und weniger zackig als die deutsche Sprache. Die Folge: Die Schweizer können das steife Hochdeutsch immer schlechter sprechen.
Von Thomas Kirchner
Zürich – Chönnted Sie nöd anä chnülä, sösch muess I zechälä? Wenn Schweizer Mundart sprechen, verstehen die meisten Deutschen erst mal nichts. Wer wüsste denn, dass er gerade zum Hinknien aufgefordert wurde – „sonst muss ich auf den Zehenspitzen stehen“?
Auch für Deutsche, die in der Schweiz leben, dauert es Monate, wenn nicht Jahre, bis sich ihnen die kehligen Laute zu einem Sinn fügen.
Und irgendwann selbst Schwyzerdütsch sprechen? Bloß nicht, man kann sich nur blamieren.
Umgekehrt ist Schriftdeutsch für die Schweizer eine Fremdsprache, die nur wenige perfekt beherrschen. Zuhause wachsen sie mit Baseldütsch, Bärndütsch, Züridütsch oder einem der vielen anderen Dialekte auf. Hochdeutsch lernen sie meist erst in der Schule.
Derzeit diskutieren die Schweizer über die Hochdeutsch-Schwäche ihrer Schüler, die schon die Pisa-Studie kritisiert hatte. Neuerdings sind die Lehrer im Visier. Wenn schon sie immer öfter den falschen Kasus verwenden, wie beklagt wird, wie sollen es dann ihre Schüler lernen?
Er kenne Texte von Lehrern, die „nur so von Fehlern strotzen“, sagt der konservative Zürcher Politiker Hans Kaufmann. Deshalb schlägt er vor, Lehrer aus Deutschland einzustellen. Die könnten ordentliches Deutsch und wären sogar billiger, denn sie gäben sich mit 70 Prozent des Lohns zufrieden.
Wegen des besseren Verdienstes und des Lehrermangels in der Schweiz zieht es seit Jahren schon deutsche Pädagogen über den Rhein. Aber reichen ein paar Hannoveraner, um dem Schweizer Nachwuchs korrektes Deutsch beizubringen?
Das Problem sitzt tiefer, denn im Schweizer Alltag wird das Hochdeutsch generell immer mehr vom Dialekt verdrängt. Die jüngste Mundart-Mode begann Anfang der Neunzigerjahre in den Privatradios und erfasste schnell die öffentlich-rechtlichen Sender. Selbst die Nachrichten hat sie erreicht, wo sie im Zusammenspiel mit Bürokratenwörtern scheußliche Wendungen erzeugen kann, wie etwa „in Abklärig sii“ (geklärt werden).
Fleißig benutzt wird der Dialekt auch von SMS-Verfassern. Zur „Message“ passt Mundart. Sie bietet kurze Silben („I ha di gärn“) und den Vorteil, dass jeder schreiben kann, wie er will: „ich grüässä“ der eine, „i grüesse“ die andere.
Schwyzerdütsch gilt als cool, aber auch als heimelig, es kommt friedlicher daher und weniger zackig als die Sprache der als arrogant verschrienen Deutschen. So kann die Verwendung des Dialekts auch ein patriotisches Bekenntnis sein. Gesellt sich ein Deutscher hinzu, bleiben Schweizer öfter bei ihrem Idiom, wo sie früher automatisch ins Hochdeutsche gewechselt hätten. Allenfalls murmelt einer pflichtschuldig: „Gäll, du verstohsch Mundart?“
Inzwischen wird die „Schriftsprache“ nur noch in Parlamenten, Kirchen und einigen Nachrichtensendungen gesprochen. Und in den Schulen. Dort allerdings vor allem in den „harten“ Fächern wie Sprachen oder Mathematik. In der Turnstunde oder im Musikunterricht, in der Pause und während des Ausflugs wechseln Lehrer wie Schüler in den informellen Dialekt.
So kommt es, wie die NZZ am Sonntag klagt, zu einer „affektiven Abwertung“ des Hochdeutschen, das „als steif, schwierig und unpersönlich gilt, während Mundart mit Gefühl, Nähe, Spontaneität und Witz assoziiert wird“.
Dabei kann man natürlich auch im Hochdeutschen locker formulieren, wenn man es oft genug übt. Aus lauter Angst, Fehler zu machen, werden die Schweizer Schüler unsicher und entwickeln später jenes trotzige Unterlegenheitsgefühl („Wir sind eben nicht so eloquent wie ihr“), das viele Deutsche in der Schweiz verwundert registrieren.
Experten sehen nur einen Ausweg: Überall in der Schule, auch in der Handarbeitsstunde, müsse konsequent, angstfrei und „lustvoll“ Hochdeutsch gesprochen werden. Ein helvetischer Zungenschlag, wie die Deutschen ihn vom Kabarettisten Emil kennen, schade dabei überhaupt nicht.
SZ vom 23.9.2004
Link:
http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/827/39788/