12. Tag, Mittwoch 04.04.07
Das Wetter macht heute Morgen einen durchwachsenden Eindruck, aber ich habe ja einen plausiblen Grund aus dem Gulag zu fliehen; mein Termin um 10:00 bei Dr. Vincente steht an.
Ich frühstücke nur wenig, putze mir ordentlich die Zähne und mache mich zu Fuß auf den ca. 3.5 km langen Weg nach Alcudia. Zu Fuß? Jawohl, zu Fuß. Ich habe kein Schloss dabei und ich möchte mein Rad nur ungern unabgeschlossen abstellen. Und ob Dr. Vincente es schätzen wird, wenn ich mein Rad mit ins Wartezimmer nehme? Der Spaziergang tut auch meiner geplagten Achillessehne auch gut, bis Alcudia bin ich fast schmerzfrei. Pünktlich um 09:50 stehe ich bei Dr. Vincente auf der Matte. Seine Assistentin kann recht gut Englisch und lässt mich erstmal im Wartezimmer Platz nehmen. Als regelmäßigem Bunte und GALA-Leser gehen mir die Augen über; drei aktuelle Exemplare des spanischen Bunte-Pendants iHOLA liegen auf dem Tisch. Hallelulia, obwohl ich so gut wie kein Spanisch kann, die bunten Bilder sind selbsterklärend. Weiß eigentlich jemand, wer zum Henker Erika Cortiz war? Nein? Egal, jetzt ist es sowieso zu spät, die Dame muss unter tragischen Umständen verschieden sein und das gesamte spanische Königshaus ist in tiefer Trauer. Juan Carlos schaut so traurig, dass man fast meinen könnte er hätte was mit ihr gehabt. Ca. 2/3 des Blattes drehen sich um das spanische Königshaus und den sonstigen europäischen Hochadel, meine Güte, ist das eine Geisterbahn.
500 Jahre Inzucht schlagen halt doch durch. Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich absolute Hochachtung vor den Franzosen habe? Die Franzosen haben ihr Adelsproblem 1789 in vorbildlicher Weise gelöst. Da ist es auch schon 10:00, Dr. Vincente bittet mich herein und mit meinen rudimentären Französischkenntnissen kann ich mich gut verständlich machen. Was auch wirklich nicht schwer fällt, das Loch im Zahn ist ziemlich offensichtlich, da hätte auch Zeichensprache problemlos funktioniert. Der Metzger wetzt seine Messer, gibt mir eine Betäubungsspritze und schon geht es mit dem Bohren los. Ich liebe dieses Geräusch; jedes Mal wenn ich einen Zahnarztbohrer höre muss ich an Dustin Hofman in „Marathonman“ denken und ich überlege mir, was ich denn gestehen will. Der Doc geht sehr behutsam zur Sache; ich habe das Gefühl, Dr. Vincente weiß genau was er tut. Nach 20 Minuten bin ich auch schon fertig. Dann noch 2 Minuten für die Rechnung schreiben, 90 Euro per VISA Karte und ich bin wieder draußen.
Ein ganz dickes Lob an den spanischen Doc:
er hat mir für 90 Euro eine wunderbare, weiße Plombe gesetzt. Mein deutscher Metzgermeister hätte dafür ca. 260 Euro berechnet. Merkwürdig, in Spanien geht das fakturieren der Dienstleistung ganz einfach in der Praxis, bei uns brauchen wir eine 50.000 Mann starke kassenärztliche Vereinigung, deren Wasserkopf uns jährlich 2-3 Mrd Euro kostet. Hallo Ullala Schmidt: so könnte man Kosten einsparen, aber man braucht ja Versorgungsposten für die Lebensversager aus den üblichen Parteien.
Nachdem ich aus der Praxis raus bin stelle ich fest, dass Alcudia ja wirklich eine sehr schöne Altstadt, mit richtig schönen Geschäften und Cafes hat. Gar nicht so schlecht, wenn man mal zu Fuß unterwegs ist. Das nächste Aha-Erlebnis habe ich in der Apotheke. Die Packung mit 20 Tabletten Voltaren in der 100 mg Variante kostet hier nur 3.14 Euro. Da es die 100 mg bei uns nur auf Rezept gibt, freue ich mich über das Schnäppchen und kaufe gleich zwei Packungen.
Ich nutze die Gunst der Stunde und setzte mich ins Straßencafe. Der erste Milchkaffee schmeckt mit tauber Zunge noch ein wenig merkwürdig, aber der zweite ist schon wieder sehr lecker. Während ich da so sitze, kommen mir so ein paar Gedanken, wie man unser Gesundheitssystem reformieren könnte. Zurückkommend auf die Idee von gestern, wie man Sa Coma und Cala Millor in die Luft sprengen könnte, könnte man den Zeitpunkt so geschickt wählen, während Ullala Schmidt einen Vortrag vor der kassenärztlichen Vereinigung in Sa Coma hält. Das kleine Teufelchen auf meiner rechten Schulter meint aber, dass wäre erstens politisch nicht korrekt und zweitens würde dann Andrea Nahles Gesundheitsministerin. Das wäre eine so heiße Nummer, das würden selbst die Jungs von Al Kaida nicht wagen. Nun ja, war ja auch nur so eine Idee.
Irgendwie macht es Spaß, in Straßencafe zu sitzen und die Menschen zu beobachten. Die Deutschen und die Engländer erkennt man sofort. Deutsche Männer haben Schlabber T-Shirts über der Wampe, kurze Hosen, weiße Socken aus dem 5er-Pack und Deichmann Schuhe. Engländer haben in der Regel einen rosafarbenen, ferkelähnlichen Teint, der auf massive Verdauungsprobleme schließen lässt. Kein Wunder, wenn man sein Leben lang Weißbrot ohne Rinde isst und seit >50 Jahren der gleichen Königin zujubelt. Hatte ich schon erwähnt, dass ich die Franzosen sehr schätze?
Ok, so gegen 13:00 schleiche ich mich wieder ins Lager. Allerdings nicht ohne vorher noch beim Supermarkt einen Stopp eingelegt zu haben. Ich denke mal, für die Achillessehne muss ich eine andere Therapieform entwickeln. Da ja Gelatine gut sein soll für Sehen und Gelenke, erstehe ich einige Tüten therapeutische Gummibärchen und einige Dosen, die in den Abendstunden dem heiligen San Miguel geopfert werden sollen. Jawohl, San Miguel ist der Schutzheilige der Sehen und Knorpel.
Zurück im Lager stelle ich fest, dass das Wetter doch recht gut aussieht, bis auf eine schwarze Wolke im Süden. Ich beschließe eine ganz gemütliche Rekom-Runde im <25 km/h Schnitt. Ich rolle so gemütlich los über die Küstenstrasse, kurble das Wellblech nach Petra hoch und bemerke, wie sich über Arta ein Gewitter entlädt. Kein Problem, ich will ja sowieso über Sineu und Muro zurück. Da sehe ich, wie auch aus Richtung Westen jetzt eine dicke, schwarze Wolke kommt. Verflucht, ich sitze in der Falle. Ich gebe dann halt doch Gas, in der Hoffnung noch halbwegs trocken heimzukommen. Aber das war ein Satz mit X, zwischen Muro und Sa Pobla fängt es an zu schütten. Nicht nur dass es regnet, nein es hagelt erbsengroße Eisbrocken. Ich finde Unterschlupf bei einer kleinen Scheune. Das muss die Strafe für meine bösen Gedanken heute Mittag sein. Zu allem Überfluss gesellen sich auch noch zwei Holländer zu mir. Ullala, dass mit der Bombe war doch nur Spaß, ich habe Dich lieb, ehrlich! Als der Hagel nachlässt, fahre ich los, die zwei Holländer, die auch nach Alcudia wollen, hinter mir im Windschatten. Ich fahre so schnell ich kann, so um die 35 km/h, und merke, dass meine Hände und Füße langsam gefühllos vor Kälte werden. Die Holländer bleiben tapfer in meinem Windschatten; wie war das mit der globalen Klimakatastrophe? Holland verschwindet von der Landkarte? Nun ja.
Zwischendurch überlege ich, ob ich kurz absteigen soll um mir auf die Hände zu pinkeln, zum Aufwärmen. Da ich so schön im Schwung war, habe ich es sein lassen. Um 17:00 bin ich völlig durchnässt und halb erfroren im Hotel angekommen. Ich steige in voller Montur in die Dusche und stehe bestimmt 20 min unter dem warmen Wasser, bis ich wieder Gefühl in Finger und Füße bekomme. Immerhin habe ich auf dem Stück von Muro bis ins Hotel den Schnitt von 25 auf 27 km/h hochgedrückt.
Mittlerweile geht mir dieses Scheiß-Dreckswetter dermaßen auf den Sack!
Streckenführung:
Hotel Club Pollentia, Can Picafort, Küstenstrasse bis zur Tankstelle, über die „Wellblechstrasse“ nach Petra, Sineu, Muro, Sa Pobla und zurück.
Bilanz für den zwölften Tag:
Rad: 85.04 km, 15°C,445 Hm, 03:03:07, Ø=27.0 km/h, Ø=106 bpm, 1478 kcal