So, hat ein bisschen gedauert und die eine oder andere Wiederholung ist auch drin...hier jedenfalls mein Bericht vom:
Ötztaler Radmarathon 2007
Bereits Mitte Februar hatte ich mich zum Ötztaler Radmarathon 2007 angemeldet, denn wer teilnehmen wollte, hatte dafür am 14.2. nur knappe drei Stunden Zeit. So „lang“ ist das Zeitfenster, bis die 4.000 Startplätze an alle Interessenten vergeben sind. Im Nachhinein werden zwar wieder viele Startplätze zurückgegeben und verlost, dennoch klappt die Teilnahme nicht für jeden auf Anhieb.
Ende Mai gab ich nach Rücksprache mit meiner örtlichen Radsportgruppe meinen Startplatz jedoch wieder zurück. Ich sah es ja auch irgendwie selbst ein: nur ein Triarad mit Lenkerendschalthebeln, das würde böse Blicke und vermutlich sogar Proteste der Mitfahrer geben. Außerdem hatte ich Angst, dass mich der Veranstalter mit dem Rad gar nicht fahren lässt. Ein Grund für das Klicken des Abmeldebuttons war gefunden – Teilnahme storniert.
Gerade in diese Zeit fiel dann aber der Beginn meiner steilen Karriere bei den EMUs, und es dauert nicht lange, bis das Thema Ötzi aufs Tapet kam. Rhoihesse zickte und gab schließlich bekannt, auf seinen Startplatz mangels Trainings zu verzichten; der angedachte Ersatzmann Scubac war aufgrund heftiger schubartiger Rückenschmerzen nicht in der Lage, in die Bresche zu springen. So kam es, dass Kollege Lebkuchen vorsichtig begann, mich zur Teilnahme am Ötzi zu überreden. Wenn die EMU-Pflicht so laut ruft, sind persönliche Interessen und Bedenken natürlich hintenanzustellen. Schließlich drohte ja auch die Teamwertung zu platzen. Eine Woche vor dem Start war ich trotz aller Unbilden zur Teilnahme entschlossen, zumal ein Anruf in Sölden ergeben hatte, dass dem Veranstalter die Bauart des Fahrrads völlig schnuppe ist. Schnell per Zimmervermittlung eine Unterkunft organisiert, die war – nun ja – etwas einfach, aber zweckmäßig und für die 30€ war auch ein erträgliches Frühstück enthalten, wie sich später herausstellen sollte.
Die Anfahrt nach Sölden gestaltete sich etwas schwierig. Langer Stau am Fernpass, der im Auto deutlich langsamer gefahren wurde, als dies per Rad möglich gewesen wäre. Lebkuchen, der sich "freiwillig" zur konspirativen Abholung meiner Startunterlagen bereit erklärt hatte, hatte bereits 5x vergeblich versucht, mich zu erreichen und war, auch wenn er sich nichts anmerken ließ, von EMU pioto vermutlich etwas genervt. In Sölden angekommen ging es dann sofort zur Abholung der besagten Unterlagen, die eigentlich nur dem Starter persönlich ausgehändigt werden. Während qroo und tacis recht schnell zurück waren, dauert es bei Lebkuchen lang und länger. Was war passiert? Der arme Kerl musste noch eine Vollmacht erstellen. Lebkuchen legte beim Vortäuschen der Unterschrift von Rhoihesse beachtliche Fälscherqualitäten an den Tag. Nach langen Minuten des Bangens kam er dann triumphierend mit der Tasche zurück – Anmeldung geregelt, alles in Butter. Vielen Dank, Lebkuchen, das ist echte Sportlerkameradschaft!!
Abends ging es dann in ein gemütliches Restaurant talabwärts. Dort lernten wir die Freundlichkeit, Höflichkeit, Gastfreundschaft und Kochkunst der Talbewohner so richtig zu schätzen. Aufgewärmtes Tiefkühlgemüse sorgte zwar nicht überall für Verzückung; ich selbst hatte allerdings nichts an meinen 3-Gänge-Menü für 12€ auszusetzen. Beim Servieren meines Nachtischs kam erstmals so etwas wie Neid unter den EMUs auf...
Wir verabredeten uns für 5.45 Uhr vor dem Hotel von qroo. Gegen 23 Uhr lag ich in der Falle und stand um 4.15 Uhr zum Frühstück auf (2 Semmeln mit Honig und Wurst, zusätzlich 2 Prisen Salz, runtergespült mit Orangensaft). Gegen 5.20 Uhr radelte ich dann die 4 km nach Sölden zurück und war ausnahmsweise einmal pünktlich am Treffpunkt. Es dauerte nicht lange, bis die übrigen EMUs auftauchten und wir unseren Platz zwischen den anderen Startern einnahmen. Es waren alle Arten von Radfahrern vertreten: Gerd Müller Oberschenkel, Rasmussen-Skelette, stramme Waden - nur richtige Fettsäcke waren weit und breit nicht zu sehen. Viel Stimmung war nicht zu verzeichnen, lediglich ein Heißluftballon wurde zum Start vorbereitet und einige Paraglider fielen wegen fehlender Thermik praktisch vom Himmel. Pünktlich um 6.30 Uhr ertönte dann der Startschuss, und rund 5 Minuten später setzte sich die Menge in Marsch.
Noch in der Ortschaft Sölden sah ich den ersten fluchenden Radfahrer mit einer Reifenpanne am Straßenrand stehen und nach ca. 10 km dann der erste Sturz, der zwar glimpflich verlief, allerdings mit dem Totalschaden eines vorderen Laufrades endete. Insgesamt war ich jedoch sehr erstaunt, dass ein Massenstart mit anschließender direkter Abfahrt so problemlos ablaufen kann. Mit einem Schnitt von 44 km/h erreichten tacis und ich dann die Ortschaft Ötz, von der aus der Aufstieg zum Kühtai beginnt. Tacis entledigte sich seiner Jacke, was mir bei den dortigen Temperaturen noch etwas gewagt erschien. Ich beschloss, alleine weiterzufahren. Das Kühtai entpuppte sich als sehr anspruchsvoller Anstieg mit den m.E. steilsten Passagen der gesamten Runde. Zum Glück gab es jedoch immer wieder kurze Flachstücke, auf denen Erholung möglich war. Meine Übersetzung von 39/25 störte hier noch nicht wirklich, aber ein Fahrer Marke Kampftreter zollte mir großen Respekt „Mann, watt musst du Hebel treten“. Genau das Gleiche dachte ich mir auch und mir schwante nix Gutes dabei...
Oben angekommen, wurden die Getränkevorräte aufgefüllt und die ersten Bananen, Brote und Riegel vertilgt. Außerdem diente ich Lebkuchen und tacis als Leuchtturm. Nach kurzer Pinkelpause ging es im Trio die schnellste Abfahrt des Tages mit Maximalgeschwindigkeiten von rund 95 km/h ins Tal. Ohne nationale Ressentiments schüren zu wollen: etliche Italiener benahmen sich in dieser Abfahrt wie absolute Vollidioten. Leider gibt’s bei diesem Rennen keine Kampfrichter. Überholvorgänge mit < 0,5 m Abstand habe ich mehrmals beobachtet und bekam regelrecht Angst vor diesen Torpedos. Tacis lag am Ende der Abfahrt ca. 150 m vor uns und verabschiedete sich alleine Richtung Brenner. Lebkuchen und ich fuhren die ersten Kilometer Richtung Brenner zusammen. Dabei wurde ich von einem holländischen Fahrer für meine ruckartige Fahrweise auf das Heftigste getadelt. Es war wohl so, dass ihm der Windschatten schon sehr gut gefiel, aber wie konnte ich mich erdreisten, ab und zu mal einen halben Meter nach links oder rechts zu fahren. Mit einer kumpelhaften Geste und einigen gönnerhaften Worten verabschiedete ich mich nach hinten, um mich nicht unnötig aufzuregen...
Der Brenner ist eigentlich kein echter Pass im klassischen Sinn, nur ganz zum Schluss wird’s einmal richtig steil, und oben wartet schon die nächste Labestation, an der wir uns alle wiedertrafen. Nachdem wir unsere weiß geränderten Gesichter gegenseitig angeschaut hatten, entschlossen wir uns zum Nachtanken von hoffentlich salzhaltiger Suppe. Auch alle anderen festen und flüssigen Nahrungsmittel wurden gierig verschlungen. Obendrein spendierte mir Lebkuchen noch eine Salz-/Kaliumtablette – nochmals danke.
Vom Brenner ging es dann in eine schöne Abfahrt nach Sterzing, und von dort ab zum Jaufenpass. Dieser Pass unterscheidet sich von den anderen drei Pässen im Ötzi dadurch, dass er keine ebenen Zwischenpassagen aufweist, es geht immer bergauf - immerhin nicht allzu steil. Am Fuss des Berges sagte ich zu L&T zum wiederholten Male: „Diesmal fahren wir aber gemeinsam hoch“, was von den beiden etwas unwirsch mit „Das haste heute schon ein paar Mal gesagt“ kritisiert wurde. Ich erläuterte den Herrschaften daraufhin, dass ich mit meiner Übersetzung eine bestimme Trittfrequenz fahren muss, da ich sonst vom Rad falle. Meine Treterei ging gut bis ca. zur Hälfte der Passhöhe, dann wurde es schwierig, die Übersetzung zu treten. Ich kam aber noch ca. 2 Minuten vor tacis und Lebkuchen oben am Jaufenpass an. Dort war die m.E. beste Verpflegungsstation, die ich auch sehr ausgiebig nutzte. Eine völlig konsternierte Helferin musste mit ansehen, wie ich 10 Stückchen (!) Kuchen aus ihrem Pappkarton herausfraß. Hinterher geschüttet wurde Suppe und Cola. Dann wieder Flaschen abfüllen und....
...hinein in die schönste Abfahrt nach St. Leonhard. Sie hatte einfach alles, tolle Kurvenpassagen, traumhafte Landschaft, rauen Asphalt, Spurrillen, Schlaglöcher, in die Straße hinein kragende Felsbrocken, kriminelle Mitfahrer, Schneckenabfahrer, einen entgegenkommenden Krankenwagen. Ein Wunder, dass beim ganzen Ötzi nix oder fast nix passiert ist. Etwas zu kurz kam in dieser Abfahrt leider der wirklich atemberaubende Panoramablick. Für mich ganz klar ein Grund, warum der Ötzi soviel Spaß macht: die abgesperrte Strecke macht diese Fahrt so wunderschön. Mit Autoverkehr wäre es einfach nur die halbe Freude.
Am Fuße des Timmelsjochs zogen wir dann unsere Jacken aus, denn die Sonne knallte ordentlich vom Himmel. Nach einem kurzen Pinkelterzett waren wir drei bereit, den fürchterlichsten Berg anzugehen. Gleich zu Beginn zeigte er sich mit starken Steigungen wenig barmherzig. Nach einigen Hundert Höhenmetern unterhielt ich mich mit tacis und sagte ihm, dass es mir nicht klar ist, wie ich da je hochkommen soll. Darauf antwortete er „Wenn du nicht weißt, wie du hochkommen sollst, was soll ich da erst sagen“. Lebkuchen nutzte unsere Schwäche unterdessen zu einer Solofahrt. Tacis und ich hingegen suchten nach Vorwänden für weitere kurze Pausen. Schattige Stellen und etliche kleine Wasserfälle boten sich an. Überhaupt waren die Straßenränder am steilsten Stück des Timmelsjochs von zahlreichen erschöpften Radfahrern gesäumt, die sich zum Ausruhen dort hingesetzt bzw. –gelegt hatten und mit teilweise tranceartigem Blick gen Himmel starrten.
Nach 600 hm legten wir an einem steilen Stück eine Pause ein und setzten uns an den Weg. Fasziniert schauten wir auf die Muskelkontraktionen von tacis‘ Waden, die lt. Besitzer absolut unfreiwillig abliefen. Ein Leidensgenosse verriet uns, dass es nur noch nur ca. 150 hm bis zur nächsten Labe waren. Kurz bevor wir uns wieder aufs Rad setzen wollten, kam ein weiterer, fast schon demoralisierter Radfahrer an unserem Rastplatz an. Er klagte über fürchterliche Magenprobleme und stieg bei der nächsten Labestation tatsächlich völlig entnervt aus, nach fast 200 km gerade einmal 40 km vor dem Ziel.
Nach der vorletzten Labestation verlor ich tacis aus den Augen. Einmal wartete ich ca. 3 Minuten an der Strecke. Kein tacis. „Was ist denn jetzt passiert, der kann doch nicht soviel Zeit verloren haben?“ Ich fuhr etwas besorgt zur letzten Labe und wartete dort weitere 8-10 Minuten auf tacis (nunja, etwas willkommene Regeneration war da schon auch dabei, aber im Vordergrund stand natürlich die EMU-Kameradschaft). Hinterher stellte sich heraus, dass ich ihn schlicht und einfach übersehen hatte. Die letzten 4 km zum Tunnel waren dann nochmals sehr hart. Etliche Leute schoben hier ihre Räder nach oben. Große Erleichterung dann bei der Einfahrt in den Tunnel, jetzt kommt nicht mehr viel. Kurz darauf aber war ich schockiert vom Gegenwind, der mir am Tunnelausgang (ca. 2500 m über NN) entgegen blies. Sehr stark und auch kalt, trotz ebener Strecke nur sehr zähes Vorankommen möglich. Dann von den Fiesheiten die allergemeinste: nach einer ersten Abfahrt von einigen Kilometern ein „kurzer“ Gegenanstieg mit nochmals gut 150 Höhenmetern. Klingt lächerlich, aber zu dem Zeitpunkt haben selbst bessere Bodenwellen ihre Lächerlichkeit komplett abgelegt. Endlich tauchte die Mautstation des Timmeljochs auf, und obwohl ich die Strecke nicht sehr gute kannte, wusste ich, dass die Sache jetzt endgültig gelaufen bzw. geschafft war. Ich führte ein kurzes Selbsthilfegruppe-ähnliches Gespräch mit einem 104 kg Fahrer, der jedes überzählige Gramm an seinem Körper am heutigen Tag schon mehrmals verflucht hatte. In der Abfahrt konnte er seine Kilos allerdings gnadenlos gewinnbringend einsetzen und fuhr bis Sölden sicher 2 Minuten auf mich heraus, obwohl ich ein halbwegs passabler Abfahrer bin.
Die Abfahrt nach Sölden war nicht so schön wie die anderen, aber zu dem Zeitpunkt bestand das alleinige Interesse am Zielstrich. Mit Kette rechts und 40 km/h in der Ebene ging es nach Sölden, wo sich die anderen EMUs bereits versammelt hatten. Ich war sehr erstaunt, tacis dort anzutreffen, und ganz ehrlich gesagt hatte ich den Genussfahrer und EMU-Hoffotografen qroo dort auch nicht unbedingt erwartet. Ich war jedenfalls froh, dass keinem was passiert war. Platz 123 gleich beim ersten Versuch in der Teamwertung war schließlich das absolute Sahnehäubchen.
Wie Lebkuchen schon sagte: obwohl wir alle mit Zeiten zwischen 4:55 und 5:30 auf der LD-Radstrecke beileibe keine schlechten Radfahrer sind, landeten wir im Gesamtklassement des Ötzis unter ferner liefen. Die Jungs boxen in einer anderen Liga, und die wirklich Guten, die ich kaum „live“ gesehen habe, bestehen nur aus Wadenmuskeln, Oberschenkelmuskeln und etwas Beiwerk. Einen ganz so krassen Fall wie Herrn Rasmussen habe ich allerdings nicht angetroffen. Während ich auf der LD ca. 50% auf den Sieger verliere, waren es bei diesem Rennen sogar 70%, und dass, obwohl das Radfahren meine stärkste Teildisziplin im Triathlon ist. Der Weg zu einem richtig guten Radfahrer ist also noch verdammt weit! Bzgl. Vergleich LD – Ötzi schließe ich mich Lebkuchen und tacis an: mental härter, muskulär ist LD härter. Vor dem Aufstieg zum Timmelsjoch hatte ich wirklich erhebliche Zweifel, ob ich da je hochkomme, sind immerhin knapp 1800 hm. Bei der LD gab’s sowas nicht, da war klar, dass zur Not gewandert wird (und so kam es ja dann ja bisher immer auch, und zwar ausgiebig).
Insgesamt eine uneingeschränkt empfehlenswerte Veranstaltung, die „im Team“ und besonders natürlich im EMU-Team einen Heidenspaß macht. Falls es ein nächstes Mal geben sollte (wahrscheinlich ja): kürzere Boxenstopps, andere Übersetzung, evtl. anderes Rad und mehr Bergtraining vorher. Und ganz wichtig: Unterkunft direkt im Ort Sölden! Das allerschlimmste am Ötzi war für mich nämlich die Heimfahrt zur 4 km und 100 hm entfernten Pension. Da war ich so kaputt, dass ich meinen Stolz über Bord warf und tatsächlich einige Hundert Meter schob – naja, ganz ehrlich gesagt: am Timmelsjoch hatte ich auch schon ein paar Meter geschoben, beim Warten auf tacis.
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