Da ich wohl mit Pioto der einzige bin, der nicht danach in den Urlaub fahren konnte, kann ich mich wohl auch nicht davor drücken, hier noch ein paar Sätze zum besten zu geben.
Einige Dinge hat Peter ja schon beschrieben, ich werde dann mal versuchen, die wenigen Lücken zu füllen.
Als wir morgens im Feld stehen, wird mir ganz schön mulmig. Wir stehen dicht gedrängt mit anderen Radlern, die alle extrem durchtrainiert aussehen. Weit und breit keiner zu sehen, der auch nur ansatzweise nach Selbstüberschätzung aussieht.
Mir ist auch nicht ganz klar, wie sich ein solch dicht gedrängtes Feld in Bewegung setzen kann, ohne dass es zu Unfällen kommt.
Das mit den Unfällen ist dann auch meine größte Sorge, denn dass ich ins Ziel komme steht für mich eigentlich fest
Nachdem der Startschuss gefallen ist, setzt sich das Feld langsam in Bewegung. Ich denke, wir brauchen etwa fünf Minuten, um über die Startlinie zu kommen.
Zuerst gemächlich, dann aber immer schneller gehts den Berg runter. Nach etwa drei Kilometern überholen wir den ersten, ansonsten werden nur wir überholt.
Einige heizen mit Vollgas an uns vorbei, fahren Unterlenker und treten trotz Gefälle volle Umdrehung als würde das Rennen nur über 20km gehen. Völlig behämmert.
Ich denke, ich rolle aufgrund meines Systemgewichts an der Spitze des Emu-Feldes dicht gefolgt von Pioto.
Am Abzweig zum Kühtai ziehe ich Handschuhe und Windjacke aus und mache mich daran den ersten Pass zu bezwingen. Von Pioto und dem Rest ist nichts mehr zu sehen.
Es ist schon irre, wie sich ein riesiger Lindwurm den Berg hochquält. Die Strecke ist tierisch voll und ein Spurwechsel zum Überholen kaum machbar. Ich überhole einige und werde selbst auch von vielen überholt. Mein Puls ist in astronomischen Höhen jenseits der anaeroben Schwelle
Oben am Kühtai ist es gepackt voll. An der Verpflegungsstation ist kein Vorbeikommen, weil überall nur Radler rumstehen. Von diesem Anblick war ich echt total überrascht.
Ich habe meine Trinkflasche mit Iso aufgefüllt, bin ein Stück weiter gefahren, um die Windjacke anzuziehen und wollte gerade wieder los, als mir ein sehr großer Radfahrer auffällt: pioto
In seinem Schlepptau sehe ich dann auf den zweiten Blick auch lebkuchi.
Wir rasen dann zu dritt ins Tal hinab. Mir wird schon ein bisschen mulmig, als mein Tacho über 90 Sachen anzeigt, denn wir kommen ja auch immer wieder an anderen Radfahrern vorbei. Einmal steht sogar eine Kuh mitsamt ihres Kalbes mitten auf der Straße
Im Tal gucke ich mich um, kann aber weder Pioto, noch Lebkuchi entdecken. Also setze ich mich an die Spitze einer kleinen Gruppe und fahre eine größere Lücke zur nächsten Gruppe zu. In einer größeren Gruppe fahren wir Richtung Brenner und wechseln uns in der Spitze immer wieder ab. Als dann die erste ernst zu nehmende Steigung kommt, bin ich auf einmal am Ende des Feldes und kurze Zeit später außerhalb des Sichtfeldes der Gruppe
Lediglich einen versprenkten Holländer kann ich noch überholen und kurz bevor ich an die Verpflegungsstation komme, machen sich auf einmal die Waden bemerkbar.
An der Brenner-Verpflegung hole ich mir Red-Bull / Wasser für die Trinkflasche und trinke außerdem einen Becher Suppe. Kurze Zeit später kommt Pioto, danach der Lebkuchi. Nach einer ausgiebigen Pause machen wir uns auf den Weg zur nächsten Abfahrt. Die Abfahrten machen mir richtig Spaß, da ich gerne schnell bergab fahre und mich in die Kurven lege. Pioto ist jedesmal wenn ich mich umdrehe, direkt hinter mir oder düst auch das ein oder andere mal an mir vorbei.
Meine sich ankündigenden Wadenkrämpfe sind weg und ich fühle mich großartig. Mir macht nur etwas Sorge, dass wir schon über die Hälfte der Strecke aber gerade mal ein drittel der Höhenmeter hinter uns haben. Das dicke Ende kommt also noch.
Zum Glück hatte ich mich mit der Streckenführung vorab nicht beschäftigt, also wusste ich auch nicht, was mich noch erwartet
Das konnte ich dann aber nicht länger ignorieren, als die nächste Steigung anfing und ein Hinweisschild 15km bis zum Jaufenpass ankündigte
Pioto kurbelte uns gleich davon und wurde erst wieder gesehen, als er zum Energie auftanken kurz stehen blieb.
Ich musste irgendwann ebenfalls stehen bleiben, weil sich meine Waden wieder bemerkbar machten. Habe mir dann ein Gel mit Sodium eingedreht, ausgiebig getrunken und bin dann weiter gefahren. Pioto und auch Lebkuchi waren da schon längst an mir vorbei.
Den letzteren habe ich kurz vor dem Gipfel wieder erreicht, als er eine kleine Pause eingelegt hat. Ich habe mich spontan zur Solidarität entschieden und auch eine kleine Pause eingelegt
Oben am Gipfel bei der nächsten Verpflegung haben wir Pioto natürlich gleich wieder unter allen anderen Radlern sofort erkannt (wo ist der höchste Helm?
)
Dort auch wieder eine längere Pause eingeschoben, die Flaschen aufgefüllt, essbares gesucht (und auch gefunden) und anschließend wieder auf eine schöne Abfahrt gemacht.
Hier fiel mir auf, dass sehr viele Radler mit einem Platten am Straßenrand standen. Die geballte Fachkompetenz der Emus erklärte dies damit, dass vermutlich viele ihre Reifen bis ultimo aufgepumpt haben, sich die Luft in der Höhe zusätzlich ausgedehnt hat und die heißen Felgen der Angstbremser nochmals dafür sorgten, dass sich die Luft zusätzlich ausdehnte, was dann zu Reifenplatzern führte.
Zum Glück habe ich auf der Abfahrt kaum gebremst. Wenn schon beim Anstieg langsam, muss ich ja nicht bei der Abfahrt auch noch langsam sein
Ich muss aber gestehen, dass ich am Jaufenpass ganz schön k.o. war. Hätte mir jemand eine Mitfahrgelegenheit angeboten, hätte ich echt mit mir gerungen denn es waren immer noch ganz schön viele Höhenmeter zu überwinden. Und mir tat bei den bergauf-Passagen schon seit den ersten Metern mächtig der Rücken weh.
Unten in St. Leonhard gabs nochmal eine kurze Lagebesprechung (die Lage war aussichtslos
) und dann sind wir zu dritt in den langen Anstieg hoch zum Timmelsjoch. Pioto wieder vorneweg, Lebkuchi und ich hinterher. Dann wurden die ersten Verhandlungen geführt:
Lebkuchi: "wir können ja alle 500HM eine Rast einlegen"
Ich: "500 Höhenmeter? Das ist viel zu viel. Wir machen alle 300 HM eine Rast und die ersten sind gleich erreicht."
Lebkuchi: "So kommen wir nie oben an"
Ich: "ich komme sonst auch nicht oben an"
weiterkurbeln. grummel....
Nach der nächsten Kurve beschließe ich, dass ich meine Einteilung viel besser finde und mache eine kleine Pause, schiebe ein Gel ein und trinke ausgiebig. Mein Getränkevorrat geht dramatisch schnell zu Ende.
Ein paar Kehren weiter kommt aus einer Leitung aus dem Fels frisches Wasser. An der Stelle stehen schon einige Leute und ich stelle mich an, um meine Flasche zu füllen und mir die Salzverkrustungen aus dem Gesicht zu waschen.
Lebkuchi meinte vorher noch, ich würde aussehen als hätte jemand vergessen, die Sonnencreme in meinem Gesicht zu verreiben, so weiß sei ich aufgrund der ganzen Salzverkrustungen.
Irgendwann treffe ich Pioto, der auch gerade eine kleine Pause macht. Solidarisch wie ich nun mal bin, stelle ich mich sofort dazu und wir fahren gemeinsam weiter. Die Pausen kommen mittlerweile in kürzeren Abständen und dauern nun auch länger. An einer Stelle legen wir uns kurz ins Gras und beobachten die anderen Radler, die sehr gequält aussehen und teilweise ihre Räder schieben.
Nachdem uns ein Sitznachbar erklärt hat, dass es bis zur nächsten Verpflegung nur noch ca. 150HM bei 7km Streckenlänge seien, fahren wir weiter.
Als ich aus dem Wald herauskomme, sehe ich vor mir einen steilen Berg mit einer in Serpentinen hinaufführenden Straße. Ich kneife die Augen zusammen, um zu erkennen, ob da Leben auf der Straße ist und erkenne, dass sich dort einige bunte Farbtuper hinauf bewegen. Also muss dort wohl die Strecke weitergehen
Kurz danach sind wir an der Verpflegungsstation.
Dort treffen wir leider nicht mehr auf den Lebkuchen für den wir wohl zu langsam waren. Ein Schild zeigt an, dass es bis zum Pass noch knappe 12km seien. Bei 6km/h bedeutet das, dass wir noch etwa zwei Stunden bis zur Passhöhe brauchen, dann angeblich noch eine dreiviertel Stunde bis in Ziel, würde bedeuten, dass wir nicht unter 12h angkommen
Wir machen uns also auf den Weg, die letzte große Hürde zu nehmen. Der Weg ist echt ätzend, mein Kreuz tut weh, die Oberschenkel ebenfalls. Die aufkommenden Krämpfe ignoriere ich und fahre weiter. Die Krämpfe gehen kurze Zeit auch wieder von alleine vorbei.
Pioto geht wie immer in Führung und verschwindet zunächst aus meinem Blickfeld. Irgendwann steht er wieder am Rand und ich meine, er würde mich erkennen, als ich an ihm vorbeischleiche. Scheinbar nicht, sonst wäre es nicht zu dem Missverständnis gekommen.
Ich halte dieses Mal auch nicht an, weil ich den dämlichen Berg nur noch hinter mir haben will. Die nächste Verpflegungsstation lasse ich aus und drücke langsam den Berg hoch.
Zu meiner Erleichterung muss man nicht ganz bis zum Gipfel, sondern es geht durch einen Tunnel. Es ist ziemlich frisch und ich ziehe mir noch vor dem Tunnel meine Windjacke an.
Ein Opa steht neben mir und flucht: "so einen Scheiß mache ich nie wieder. Ich alter Esel habe mich überreden lassen, das hier mitzumachen. Wie konnte ich nur so blöd sein..."
Ich stimme ihm in allen Punkten zu, relativiere das mit dem alten Esel aber noch etwas
Die nächste Abfahrt ist nicht ganz so schön, wie die Vorhergehenden und endet von weitem sichtbar in der nächsten Steigung
Ich hatte es noch irgendwo im Hinterkopf gespeichert, dass es nochmal zur Mautstation hochgeht. Aber insgeheim hatte ich gehofft, dass das 'ne Lüge war, genauso wie der Opa am Tunneleingang einem anderen erzählt hat, dass da jetzt noch zwei Steigungen á 17% kommen würden
Nachdem dessen Gesichtsfarbe deutlich auf weiß wechselte hat er ihm dann aber versichert, dass das jetzt nur ein ganz übler Scherz gewesen sei.
Und nach der Mautstation ging es tatsächlich (fast) nur noch bergab
Wieder sämtliche Angstbremser hinter mir gelassen und in der anschließenden Geraden noch ein paar Lutscher eingesammelt, die aber auch allesamt wieder abreißen lassen mussten.
Ich war erstaunt, dass es meinen Beinen super gut ging und ich in der Ebene locker 40 Sachen drücken konnte.
Ich flog dem Ziel entgegen, wunderte mich, dass in Sölden total viele Leute auch noch die letzten Radler angefeuert haben, denn vor und hinter mir war bestimmt auf 500m kein anderer Radler zu sehen, dafür aber schon jede Menge Autoverkehr.
Im Ziel wurde ich als erstes vom Tiefstapler-Emu QRoo begrüßt. Ich war total perplex, dass er schon im Ziel war, weil er vorher allen immer und immer wieder erzählt hat, dass er ganz viele Pausen machen will, ausgiebigst fotografieren möchte und sich überhaupt keinen Stress machen wird. Und nun ist der Kerl über eine halbe Stunde vor mir dort.
Egal, denn ich bin froh, im Ziel zu sein. Ich denke, ich hätte noch weiter fahren können, bin auch nicht total erschöpft aber dennoch froh, dass die Quälerei ein Ende hat.
Der Vergleich zur Langdistanz wurde von Peter ja schon das ein oder andere Mal herangezogen. Auch ich denke, dass eine LD anstrengender ist, aber nur muskulär. Der Ötztaler hat mir im Kopf alles abverlangt. Die ewigen Bergaufpassagen haben mich immer wieder mürbe gemacht. Dazu kommt, dass ich kein guter Kletterer bin, sondern nur in der Ebene oder im leicht welligen Gelände richtig Druck machen kann.
Das Gefühl der totalen Erschöpfung hatte ich so gut wie nie, aber ich konnte den Blick nicht vom Höhenmesser und Kilometerzähler abwenden. Immer wieder habe ich gebannt auf die Polar geguckt, wann die nächsten 5Höhenmeter gezählt wurden und habe das von den 5500 angekündigten Höhenmetern abgezogen (und bin innerlich verzweifelt) Zum Schluss hat meine Polar nur 5055HM angezeigt. Und ich hatte bis kurz vorm Schluss Angst, dass die restlichen 445 Höhenmeter noch irgendwo lauern könnten.
Einen Tag später gehts mir bestens. Keine muskulären Probleme (was mich in meiner Aussage bestärkt), aber immer noch keine Lust, da noch einmal in meinem Leben anzutreten.
Aber das habe ich ja nach meinem ersten Ironman auch gesagt